Statt Abrechnung nur ein „Gott vergelt’s“

Nach wilden Gerüchten über sein angeblich ausschweifendes Leben und monatelanger Zwangsbeurlaubung durfte Martin Beer gestern einen Abschiedsgottesdienst halten, obwohl er bereits Ende vergangenen Jahres aus seinem Amt ausschied ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Der Berliner Dom war voll wie lange nicht mehr. Neben hunderten von Berlinern war eine große Delegation der Partnergemeinde aus dem Ruhrgebiet angereist. Auch diverse königliche Hoheiten wie der Prinz von Preußen aus Schleswig-Holstein hatten es sich nicht nehmen lassen, zu kommen. Sie alle wollten Martin Beer, den Domprediger, sehen. Gestern hielt der 49-Jährige, der 1989 von einer kleinen Pfarrei in Mecklenburg an den Berliner Dom gewechselt war, seinen Abschiedsgottesdienst.

Dass er, der seit über einem Jahr als Altenseelsorger in Prenzlauer Berg tätig ist, noch einmal auf die Kanzel steigen durfte, gleicht einem kleinen Wunder. Denn Beer, der auf Lebenszeit ernannt wurde, hat sich im vergangenen Herbst mit der Evangelischen Landeskirche der Union (EKU) und dem Domkollegium, in dessen Zuständigkeit der Dom liegt, darauf geeinigt, zum 31. Dezember 1999 auszuscheiden.

Doch ganz so einvernehmlich war die Einigung nicht. Beer, der nicht eben zur Freude des Bischofs der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg den ersten Spatenstich und die Grundsteinlegung für das Bundeskanzleramt an der Seite von Helmut Kohl vollzog, hatte stets gegen einen zu großen Einfluss der EKU gekämpft. Zudem sah er die Domgemeinde als eigentlichen Eigentümer an.

Er war mürbe geworden. Monatelang kursierten wilde Gerüchte über seinen Lebenswandel, bis er im Mai 1998 wegen seiner „dienstlichen und außerdienstlichen Lebensführung“ beurlaubt wurde. Die EKU leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Amtspflichtverletzung ein. Der Grund war nicht seine jahrelange Tätigkeit für die Stasi unter dem Decknamen „Maria“. Auch nicht seine Homosexualität. Beides war bei seiner Einstellung bekannt.

Was war passiert? Beer führte nach Ansicht einiger Gemeindemitglieder ein zu ausschweifendes Leben. Als ein Bekannter des Pfarrers, ein Rechtsanwalt, erklärte, Beer habe seinen, des Anwalts, volljährigen Sohn sexuell belästigt, wurde Beer beurlaubt. Die Liebesnacht gestand er, die Nötigung bestritt er. Im September vergangenen Jahres wurde das Verfahren eingestellt. Dass Beer dem Vergleich zustimmte, hat einen einfachen Grund: „Man hat mich weich geklopft“, sagte er gestern gegenüber der taz.

Als kleinen Sieg hingegen verbucht er das Zugeständnis des Abschiedsgottesdienstes. Wie groß die Bauchschmerzen der Kirchenleitung gewesen sein müssen, zeigt allein die Ankündigung seines Auftritts. Nachdem Beer ursprünglich als „Domprediger“ angekündigt worden war, stand gestern auf der Hinweistafel lediglich „Pfarrer Martin Beer“. Der Vorsitzende des Domkollegiums beschränkte sich bei seinen Einführungsworten zur Predigt auf das Allernötigste: „Beer war vom 1. Oktober 1989 bis zum 31. 12. 1999 Dompfarrer. Mit diesem Gottesdient verabschiedet er sich von der Domgemeinde.“

Beer hingegen machte einige mehr oder weniger versteckte Anmerkungen zu seinem unfreiwilligen Abgang. „Wir sind betroffen, dass die Verbindung zwischen Alltag und Glauben oft so kompliziert ist.“ Auch daraus, dass er gerne Wein trinkt, machte er keinen Hehl. Als er darüber sprach, wie Jesus Wasser zu Wein verwandelte, sagte er: „Man kann auch ohne Alkohol feiern, selbst wenn es mir persönlich schwer fällt.“

Mit seinen Äußerungen zum Thema Unverheiratete und Ehe – „Uns gibt es, Jesus hat uns Platz eingeräumt“ – ließ er durchblicken, dass er gegen das Tabu der Ehe von Homosexuellen kämpfen will. Demnächst möchte er in einer öffentlichen Zeremonie ein mit ihm befreundetes schwules Paar trauen und deren adoptiertes Kind taufen. Der Dom wird dafür wohl nicht in Frage kommen.

Beer geht mit Enttäuschung und Wehmut, aber nicht mit Verbitterung. Das Schlusswort seiner Predigt lautete: „Besonders für die beiden letzten Jahre gilt, wie ich es im Süden des Lands kennen gelernt habe: Gott vergelt’s.“ Gegenüber der Kirchengemeinde, die sich im Anschluss an den Gottesdienst in großer Zahl im Gemeinderaum eingefunden hatte, sagte er: „Ich gehe schmerzhaft, das wissen Sie.“

Auf einem persönlichen Abschiedsfest, das Beer im gegenüber liegenden Opernpalais für etwa 200 Gäste gab, sprachen Gemeindemitglieder von „verlogenen Machenschaften der Kirche“. Gemeint waren die wahrlich unfrommen Methoden, Martin Beer auf die vermeintlichen Schliche zu kommen. Mitarbeiter des Opernpalais, wo der Prediger häufig verkehrte, hatten sich über unangemessene Befragungen nach Kontakten Beers mit „jungen Männern“ beschwert.

Dass er weiter als Altenseelsorger arbeiten wird, versteht Beer nicht als Abstieg. „Es ist auch eine Beförderung, Leute auf ihrem letzten Weg zu begleiten.“ Sein für heute geplantes Treffen mit Helmut Kohl will er aber nicht in diesem Sinne verstanden wissen. Er freut sich, dass der Altbundeskanzler zu ihm hält.