Polizei und Demonstranten auf Schmusekurs

Die Gedenkveranstaltung zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verlief zur allseitigen Zufriedenheit. Die Polizisten waren um Deeskalation bemüht. Sie verzichteten sogar auf ihre Helme. Die Demonstranten ließen friedlich Leibesvisitationen über sich ergehen ■ Von Dirk Hempel

Das es so etwas gibt: Bei einer Demonstration fordert die Polizei einen jungen Mann auf, seinen Rucksack zu entleeren und alle metallischen Gegenstände aus Jacken und Hosentaschen hervorzukramen. Und was sagt der junge Mann, während er Schlüssel, Brieftasche, Brillenetui und Handy auspackt? „Finde ich übrigens gut, dass Sie das machen.“

So viel Harmonie zwischen Polizei und Demonstranten hat man selten in Berlin erlebt. Zuvor hatten Polizisten die frohe Botschaft des Samstags auf Handzetteln und Plakaten verbreitet: Die Gedenkveranstaltung zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht findet statt. Alle, die ohnehin nach Berlin-Friedrichsfelde gekommen sind, können sich bestätigt fühlen, dass sie nicht umsonst gekommen sind. Aber die Polizei hat auch Unerfreuliches zu berichten: Wegen der Drohung, die von der PDS organisierte Ehrung mit Maschinenpistole und Handgranate anzugreifen, seien deutliche polizeiliche Präsenz sowie Vorkontrollen „unumgänglich“. Am vorangegangenen Wochenende hatte Polizeipräsident Hagen Saberschinsky wegen der Ankündigung von Olaf Staps die Veranstaltung sowie einen Demonstrationszug zur „Gedenkstätte der Sozialisten“ verboten.

Weil Staps bisher nicht gefasst, seine Drohung nach Ansicht der Polizei aber „ernst zu nehmen“ ist, werden die prominenten Oppositionspolitiker der PDS bei ihrem Besuch an der Gedenkstätte von einem Aufgebot begleitet, das an einen Staatsbesuch erinnert. Der Parteivorsitzende Lothar Bisky und der Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi geben sich zwar betont gelassen, als sie ganz früh zur Gedenkveranstaltung für Liebknecht und Luxemburg erscheinen. Aber gelegentlich schweifen ihre Blicke unsicher zu den angrenzenden Häusern. Dafür, dass Staps nicht kommt, gibt es schließlich keine Garantie.

Seit sechs Uhr früh herrscht in den Straßen der Umgebung Parkverbot. Alle Gullydeckel sind mit Teer zugeklebt. Auf den Dächern lauern vermummte Scharfschützen. Das direkt an den Weg zur Gedenkstätte angrenzende Bahngelände wird vom Bundesgrenzschutz bewacht. Wie zufällig schlendern auffallend viele Leute mit einem Knopf im Ohr umher. Feuerwehr und Sprengstoffexperten des Landeskriminalamts halten sich keine hundert Meter vom Gedenkstätteneingang entfernt in Bereitschaft. Und an allen Zugängen sind Absperrgitter aufgestellt, hinter denen Beamte mit Metalldetektoren stehen. Sie alle haben ein Bild des gesuchten 39-jährigen Staps dabei. Kontrolliert werden vor allem junge Leute in dunkler Kleidung oder mit Rucksack.

Am Vorplatz der Gedenkstätte steigt eine Art Volksfest: Neben Bratwurst und Glühwein werden Flugblätter und Zeitungen verteilt oder verkauft, Fahnen aufgehängt und geschwenkt. Die Farbe Rot dominiert: Wegen der Kälte sind die Nasen derjenigen, die schon seit dem frühen Morgen da sind, gerötet. Und am Rande werden zahlreich rote Nelken gekauft und dann zu Ehren Luxemburgs und Liebkechts niedergelegt.

PDS-Vertreter sammeln einen Obolus für den Erhalt der Gedenkstätte. „Nur wo PDS draufsteht, ist auch PDS drin“, schallt es den Ankommenden entgegen. Der Spruch ist zwar weder witzig noch besonders originell, dafür aber umso erfolgreicher: Die Büchsen füllen sich zusehends. Nicht nur Münzen, auch Scheine werden gezückt.

Für manches Kind gerät die von Trauermusik begleitete Ehrung zur Lernerfolgskontrolle: „Was steht auf dem Stein?“, will eine Mutter wissen. Die Antwort, „Die Toten mahnen uns“, reicht ihr nicht. „Wovor?“, möchte sie wissen. „Vor dem Krieg“, gibt das Mädchen zurück. Test bestanden, die Mutter ist zufrieden, das Kind hat seine Ruhe.

Es sind sogar Staps-Anhänger hier. Die Redaktion der antideutschen Zeitung Bahamas verteilt ein Extrablatt, in dem die PDS kritisiert wird, weil sie sich in der Zusammenarbeit mit der Polizei als „unentbehrlicher Garant für Ruhe und Ordnung“ erwiesen habe. Die Bahamas-Forderung nach „Straffreiheit von Olaf Staps“ stößt aber kaum auf Resonanz. Die meisten stecken das Pamphlet gefaltet in die Tasche, wie sie es mit den zahlreichen anderen Flugblättern und Zeitschriften tun.

Widerspruch regt sich, als die Splitterpartei MLPD an ihrem Stand per Mikrofon das „massive Polizeiaufgebot“ kritisiert. Der Nachredner ist allerdings anderer Meinung. Angesichts der Attentatsdrohung sei es doch nur gut, „wenn die hier aufpassen, dass nichts passiert“. Der in der Vorwoche noch laut gewordene Ärger über das polizeiliche Verbot und die Absperrungen ist größtenteils verflogen. Man fühlt sich den Beamten eher zu Dank verpflichtet. Ein Beamter bestätigt: „Die Reaktionen sind fast ausschließlich freundlich.“ Die Polizei sei aber auch bewusst deeskalierend und deshalb auch ohne die sonst üblichen Helme angetreten.

Als alle schon nicht mehr glauben, dass Staps noch zuschlägt, dominiert die Frage, ob wegen der Drohung dieses Jahr mehr oder weniger Leute gekommen sind, um der Ermordung Liebknechts und Luxemburgs zu gedenken. Auf der Demonstration zur Gedenkstätte waren es jedenfalls weniger: Rund 1.000 Menschen traten vom Frankfurter Tor aus den Weg nach Friedrichsfelde an, begleitet von Polizisten mit Maschinenpistolen. An der Gedenkstätte selbst fällt die Schätzung schwer: Die Polizei spricht später relativ vage von „mehreren zehntausend“, die PDS „von 80.000 bis 100.000 Teilnehmern“.

Die PDS-Abgeordnete Gesine Lötzsch meint: „Mir scheint, als seien weniger Leute mit Kinderwagen gekommen. Vermutlich haben die Angst gehabt.“ Auch Delegationen von außerhalb Berlins sowie aus dem Ausland, die bereits sechs Tage zuvor vergeblich versucht hatten, Nelken und Kränze an der Gedenkstätte abzulegen, werden an diesem Wochenende vermisst.

Dafür hat die PDS auch wesentlich mehr Ordner eingesetzt als in den Vorjahren. Zusätzlich wurde ein professioneller Veranstaltungsdienst beauftragt. Die Aufgabe der blau gekleideten Männer: herumstehen und sich für den Ernstfall bereithalten. Ein PDS-Mann: „Die sind speziell dafür ausgebildet, wenn es zu Panik oder Tumult kommt.“