Was Eugen Bleuler zum Big-Apple-Syndrom sagt

■ Das Buch Matthäus: Noch 53 Tage? – Schwere Kopfschmerzen hüben und drüben

Berlin (taz) – Langsam muss man sich um Lothar Matthäus Sorgen machen. Leidet er an chronischer, vielleicht gar neurotischer Willensschwäche? Ist er ernsthaft krank? Stets diffundiert etwas durch die labbrige Membran, die Loddars Vorhaben schützt, nach New York zu den MetroStars zu gehen und damit seiner Freundin – das Mensch Maren – sowie dem Wunsch zu folgen, wie einst Kaiser Franz den Big Apple in der linken Backe zu verspeisen.

Was da grob durch die Poren des Dünnhäuters dringt, ist arg: Erst traf die Nachricht von der Demission des Bora Milutinovic auf sensibles Fleisch, dann wurde Vertrauensmann Charlie Stillitano gegangen. Loddar ist seitdem verstört. Nicht mal eine Telefonnummer zum künftigen Arbeitgeber lässt sich finden. Alle weg, auch die Leute, mit denen Loddar kungeln wollte. Böse übergangen hat man ihn. Was soll er nun tun?

Möglicherweise hilft ein Mann weiter, der auf den Gängen psychiatrischer Anstalten ähnlich reüssierte wie unser mentalmäßig angeschlagener Lothar auf dem Bolzplatz. Eugen Bleuler, der die Schizophrenie unter die Menschen brachte, machte sich auch um die Beschreibung des Krankheitsbilds der „Abulie“ verdient. Zum Beispiel, dass der Kranke zwar den Wunsch nach einer Handlung hat, dieser Wunsch aber so kraftlos sei, dass es nicht zu einer Aktion komme. In den Willensakt mischten sich „Gegen- und Querantriebe“, die den ursprünglichen Entschluss torpedieren und versenken. Schlimme Fälle starren den ganzen Tag die Wand an, weil sie nicht wissen, ob sie zuerst Lulu gehen oder was essen sollen; mittelschwere dagegen überlegen sich, ob sie eine Reise über den großen Teich antreten oder eben nicht.

Für Matthäus könnte sich das Problem recht einfach lösen, wenn andere ihm den Weg weisen – zum Beispiel der Weltfußballverband Fifa, der gar nicht zimperlich reagiert, missachtet ein Kicker geschlossene Verträge. Der neue Manager bei den Metros, Ivan Gazidis, therapiert ebenfalls: „Lothar hat einen Vertrag mit uns unterschrieben, der ist bindend.“ General Manager Nick Sakiewicz hilft mit der Ansage: „Er muss am 10. März kommen, das war abgesprochen, also erwarte ich ihn.“

Des Willensschwachen angenommen hat sich auch in rührender Form die New Yorker Lokalpresse. Soccer-Spezialist Michael Lewis von den Daily News interveniert paradox: „Oh, mein armes Baby“, schreibt er. „Ein Matthäus ist nichts weiter als ein Kopfschmerz für die Liga. Was, du willst nicht nach New York kommen, großartig, hier ist dein Vertrag und hau ab, wir schicken dir noch einen Friedensstifter.“

Warum nicht einen Shrink, einen Psychoanalytiker also, auch noch dazu? Das wäre immerhin der Startschuss für eine erfolgreiche New Yorker Sozialisation.

Markus Völker

„Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Und sie brachten zu ihm alle, Besessene, Mondsüchtige und Gelähmte; und er machte sie gesund.

(Matthäus 9,4)