Der Rettungsanker schwingt in heißer Luft

Die „Bild“-Zeitung setzt in einer Serie über Menschen in der Schuldenfalle ganz auf die Ratschläge eines Schuldnerberaters. Doch Qualifikation und Reputation des „Bild“-Experten sind arg umstritten ■ Von Stefan Tomik

Jeder fünfte Haushalt in Brandenburg ist „über beide Ohren verschuldet“ – und Bild berichtet! Seit dem 4. Januar erfahren wir in der Ausgabe Berlin-Brandenburg täglich das Neueste aus den Küchen und Wohnzimmern der Region. „So werden Sie Ihre Schulden los“ heißt die Serie über Menschen in der Schuldenfalle. Und die berichten penibel, was sie einkaufen und wo sie sparen („4 Mark 50 für Vaters Mittagsschnitzel“).

Das wäre eine ehrenwerte Geschichte, würde da nicht ein gewisser Jürgen Wrobel – wiederholt mit Foto und mit Telefonnummer („Wer Hilfe braucht“) – zum Helden stilisiert. Der „Schuldnerberater“ soll die Pleitiers entschulden – mit Hilfe der Insolvenzordnung, die seit gut einem Jahr auch eine Art Privatkonkurs möglich macht. Regelmäßig berichtet Wrobel, wie er „die Banken in Zugzwang“ bringt, oder philosophiert über die Situation seiner Klienten: „Die Kuh wird so lange gemolken, wie sie Milch gibt.“

Doch der „letzte Rettungsanker“, den die Bild ihren Lesern zuwirft, hat zur Abwicklung des Verfahrens gar keine Genehmigung. „Die Anerkennung als geeignete Stelle im Verbraucherinsolvenzverfahren wurde am 5. März 1999 widerrufen“, heißt es im Landesamt für Soziales und Versorgung Brandenburg. Der Grund: Wrobel selbst lebt nicht „in geordneten Verhältnissen“. Schon mehrfach musste er eidesstattliche Versicherungen über sein Vermögen abgeben. Auch wenn er jetzt gegen die Ablehnung klage, bleibe seine Tätigkeit unrechtmäßig, sagt Thomas Wendt, Sprecher des Sozialministeriums Brandenburg. Weil Wrobel kein Rechtsanwalt ist, darf er keine Rechtsberatung durchführen. Und ohne landesamtliche Anerkennung darf er auch keine Bescheinigungen ausstellen, die zur Einleitung des Insolvenzverfahrens erforderlich sind. Er darf noch nicht einmal mit den Gläubigern seiner Klienten verhandeln. Was bleibt da noch übrig für eine „Insolvenzberatung“?

„Jede seriöse Schuldnerberatung ist kostenlos“, sagt Sven Gärtner vom „Arbeitskreis Neue Armut e. V.“ in Berlin. Auch Wrobels „Insolvenzschuldnerhilfe-Verein“ im brandenburgischen Eggersdorf berät „kostenlos“, doch der Mitgliedsbeitrag liegt zwischen 25 und 50 Mark pro Monat. Rund 90 Mitglieder, selbst hoch verschuldet, zahlen so jeden Monat eine hübsche Summe in die Kasse. Wo aber das Geld bleibt, ist auch beim Vereinsregister nicht zu erfahren – „kein Eintrag“ heißt es dort.

Der Serienheld der Bild-Zeitung ist bei den anerkannten Schuldnerberatungsstellen kein unbeschriebenes Blatt. „Wrobel war bereits 1996 und 1997 als gewerblicher Schuldenregulierer mit seiner Firma MDM tätig“, sagt Sven Gärtner. „Damals waren verschiedene Ermittlungsverfahren wegen Betrugs anhängig.“

Am 7. Januar, nachdem Wrobel bereits mehrfach in der Bild-Serie aufgetaucht war, warnte der Arbeitskreis Neue Armut die Redaktion. Dort heißt es, man habe „alles abgecheckt“, sei jetzt aber doch verunsichert. „Wrobel wollte als Einziger mit uns zusammenarbeiten“, sagt die verantwortliche Redakteurin: „Die anderen Beratungsstellen hatten zu viel zu tun.“ In der Samstags-Bild tauchte Wrobel vorsichtshalber nicht mehr auf.

Wrobel dürfte sich unterdessen die Hände reiben. In Scharen hat die Bild-Zeitung seinem Verein neue Klienten in die Arme getrieben. „Der Werbeeffekt für Wrobel war vermutlich unbezahlbar“, ärgert sich Sven Gärtner. Jetzt erwägt Neue Armut e. V. presserechtliche Schritte gegen Bild.

Die hatte ihre Schuldnerserie sinnigerweise so eingeleitet: „Wir wollen zeigen, (. . .) wer die richtigen Ansprechpartner sind. (. . .) Sie werden Menschen kennen lernen, die zu aktenkundigen Fällen geworden sind – es geschafft haben.“ Einer der „aktenkundigen Fälle“ ist der Protagonist Jürgen Wrobel selbst. Unter der Geschäftsnummer 9C1314/96 hat das Amtsgericht Strausberg 1996 einen Arrestbefehl gegen den ehemaligen MDM-Inhaber ausgestellt.