Wie krank ist die Erde wirklich?

Der alljährliche Bericht über den Gesundheitszustand unseres Planeten ist erschienen. Gegner werfen den Umweltlobbyisten „Propaganda“ vor ■ Aus Washington Peter Tautfest

„Was heißt Artenschutz? Selbst 1.000 verschwundene Arten pro Jahr sind gerade mal ein Prozent im Jahrhundert“

Seit 16 Jahren erscheint im Januar der „State of the World“-Report des World Watch Instituts. Er hat mittlerweile eine Auflage von über einer Million und wird in 30 Sprachen übersetzt. „Wir beginnen jeweils mit einem umfangreichen Lektüreprogramm und einem Literaturstudium“, erklärt der Biologe Chris Bright. Zusammengetragen wird, was im Laufe eines Jahres an Untersuchungsergebnissen von internationalen und nationalen Wissenschaftlerteams gemessen, gewogen, gezählt, verglichen, analysiert und erforscht worden ist.

Seit Jahren fällt das Zeugnis schlecht aus. Die wichtigsten Trends, die das World Watch Institut beobachtet, entwickeln sich besorgniserregend: „Waldflächen schwinden, Böden werden abgetragen, Grundwasserspiegel fallen, Fischpopulationen brechen zusammen, Korallenriffe sterben, Temperaturen steigen, Eiskappen schmelzen, Arten verschwinden – und derweil wächst die Weltbevölkerung weiter und über die Basis der natürlichen Ressourcen hinaus, fasst Lester Brown, seit 25 Jahren Direktor des Instituts, die Untersuchungsergebnisse des diesjährigen Berichts zusammen.

Neu ist am „State of the World“ 2000 eigentlich nur das Logo: Statt einer politischen Weltkarte ziert jetzt ein Satellitenbild der Erde den Einband. Die Kartenprojektion ist so gewählt, dass die Eiskappen des Himalaja ins Auge springen. Lester Brown erläutert daran einen der besorgniserregendsten Trends, das weltweite Schmelzen der Eiskappen. „Die Erwärmung der Erde hat im Himalajagebirge zu einer Änderung des Verhältnisses von Schneefall und Regen geführt. Mehr Regen und weniger Schnee führen auf dem indischen Subkontinent und in China gleichzeitig zu verheerenden Überschwemmungen und größeren Dürren, denn diese Eiskappen nähren alle großen Flüsse Asiens, den Ganges und den Bramaputra, den Gelben Fluss und den Yangtse – dabei fallen in Indien und China die Wasserspiegel ohnehin schon.“ Überhaupt werde Wasserknappheit in diesem Jahrhundert eine große Rolle spielen. Lester Brown macht dazu eine dramatische Rechnung auf: „Der jährliche Wasserverlust beträgt 160 Milliarden Tonnen. Da zur Erzeugung von einer Tonne Weizen 1.000 Tonnen Wasser gebraucht werden, kann man den Wasserverlust auch in 160 Mio. Tonnen Getreide ausdrücken, die Hälfte der amerikanischen Produktion und Ernährungsgrundlage für 480 Millionen Menschen.“

Seit einigen Jahren erscheint der World Watch Report in einer Zeit noch nie dagewesener Prosperität und wirtschaftlicher Expansion – in den USA. Seit zwei Jahren hat er Konkurrenz. Ähnlich in Format, Gewicht und Design erschien letztes Jahr der „State of the Planet“ und dieses Jahr der „Earth Report“ des Competitive Enterprize Instituts (CEI). „Seit Jahren hat das World Watch Institut und überhaupt das Umwelt-Establishment Berichte herausgebracht, in denen die unvermeidliche Zerstörung der Wälder, Flüsse, Feuchtgebiete sowie von deren Fauna hinausposaunt wird. Alljährlich werden die Prognosen düsterer, doch die Katastrophe bleibt aus“, steht auf einem Flugblatt, das vom CEI auf der Massachusetts Avenue verteilt wird, dem Boulevard, an dem in Washington viele der politischen Forschungsinstitute liegen.

„Wir mussten dem Übergewicht der Propaganda der Umweltlobby etwas entgegenstellen“, erklärt Sprecher Myron Ebell. „Wir sind in der Auseinandersetzung um das Verständnis unserer Umwelt der Underdog, die Umweltschützer haben unendlich viel mehr Geld und Einfluss als wir.“

Wo World Watch dramatischen Artenschwund sieht – 11 Prozent aller Vögel, 25 Prozent der Säugetiere und 34 Prozent der Fischarten seien bedroht –, rechnet CEI vor, dass selbst beim Verlust von 1.000 Arten pro Jahr wir bei einer angenommenen Zahl von Arten zwischen 3 und 30 Millionen auf ein Jahrhundert hochgerechnet gerade mal ein Prozent der Arten verlieren – und überhaupt seien Arten eine taxonomisches Konstrukt und die Vielfalt innerhalb von Arten sei größer und wichtiger als die unter den Arten.

Am schärfsten gehen die Reports in der Einschätzung der Trends im Energiebereich auseinander. Während World Watch bei der Wind- und Sonnenenergie Zuwächse von 22 beziehungsweise 11 Prozent sieht, rechnet CEI vor, dass bei fallenden Energiepreisen und modernen Umwandlungstechniken wie Gasturbinen und Kraft-Wärme-Kopplung die Preise von alternativer Energie mehr als das Fünffache über denen der konventionellen Energie liegen. Während World Watch vorrechnet, dass die beiden Dakotas und Texas mit Windfarmen den Energiebedarf ganz Nordamerikas decken könnten, verweist CEI darauf, dass heute nur 0,2 Prozent des Stroms in den USA durch Wind erzeugt werden und alternative Energie ohne Subventionen nie auskommen wird.

Chris Bright verweist angesichts dieser Momentaufnahme allerdings darauf, dass vier der zehn Kapitel des World Watch Reports dem Rettungspotenzial und positiven Trends gewidmet sind, dazu gehören die Informationstechnik, der Trend zur Mikrotechnik und weg von Mamutprojekten sowie eine ökologische Globalisierung.