Wie soll das nur weitergehen?

■ Angela Merkel fordert neue Köpfe, Ole von Beust einen Parteitag, Wolfgang Schäubles Sätze werden immer schiefer – und die „Welt am Sonntag“ sieht die Republik verrotten

Es verschlägt einem die Sprache“, sagte Angela Merkel am Freitagabend, kurz nachdem bekannt wurde, dass die hessische CDU 17 Millionen Mark auf einem schwarzen Auslandskonto gebunkert hat. Doch schon am selben Abend schäkerte die CDU-Generalsekretärin mit den Teilnehmern einer Talk-Runde im Fernsehen. Tags darauf forderte sie den „personellen und strukturellen Neuanfang der CDU“.

Angela Merkel scheint ihre Chance zu wittern. Denn die alten und auch die meisten jüngeren Herren in der Partei stecken allesamt tief im Spendensumpf. Wird schon bald eine Frau an der Spitze der CDU stehen? Nicht nur Angela Merkel, auch die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan ist für den Führungsjob im Gespräch.

Die Rücktrittsforderungen an den Parteivorsitzenden Wolfgang Schäuble werden jedenfalls lauter. Am Freitagabend redete er sich im Fernsehen um Kopf und Kragen. Es war grotesk, wie er seinen hessischen Parteifreunden nach deren Geständnis den „rückhaltlosen Willen zur Aufklärung“ attestierte. „Ich habe von der ersten Minute an zur Aufklärung beigetragen“, sagte Schäuble eine Tag später beim Wahlkampfauftakt in Kiel – und kassierte dafür höhnisches Gelächter und den lauten Ruf nach „Rücktritt!“.

Seit seinem Geständnis, vom Waffenhändler Schreiber 100.000 Mark entgegengenommen zu haben, ist Wolfgang Schäuble einsam geworden. Trotzdem weigert er sich beharrlich, von seinem Amt zurückzutreten – und vergrößert damit Lähmung und Hilflosigkeit, die sich unter CDU-Politikern breit gemacht haben. „Die Sprachlosigkeit verwandelt sich in Entsetzen“, beschreibt Ex-Generalsekretär Heiner Geißler die Lage seiner Partei. Wenn die CDU jetzt nicht „ohne Ansehen von Personen“ aufkläre, werde die Partei „öffentlich hingerichtet“, sagt Brandenburgs CDU-Chef Jörg Schönbohm. Und Annette Schavan gibt zu: „Es zermürbt die Leute, morgens nicht zu wissen, was abends bekannt wird.“ CDU-Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein, Volker Rühe, hingegen bekennt, dass „gerade unsere Parteimitglieder besonders auf Recht und Gesetz achten“. Deshalb treffe es die Partei „in der Seele“, wenn „Recht und Gesetz“ von CDU-Politikern verletzt würden.

Inzwischen will niemand mehr ausschließen, dass auch andere Landesverbände oder gar die Bundespartei Geld auf ausländischen Konten gebunkert haben. SPD und Grüne sind sich längst darüber einig, dass der Auftrag des Untersuchungsausschusses „Parteispenden“ ausgeweitet werden muss: auf das gesamte Finanzgebaren der CDU. Auch Altbundeskanzler Helmut Kohl scheint den Ernst der Lage erkannt zu haben. Eigentlich sollte er heute feierlich einen 30.000 Mark hoch dotierten Scheck annehmen, den „Adolph Bentinck-Preis für Verdienste um Europa“. Kohls Büroleiter sagte ab: „Der Termin erschien uns derzeit eher unpassend.“

Inzwischen mehren sich in der CDU die Stimmen derer, die einen vorgezogenen Parteitag und die Wahl eines (oder einer) neuen Vorsitzenden fordern. Hamburgs CDU-Fraktionschef Ole von Beust glaubt, nur ein neugewählter Parteivorstand könne sich eines Tages wieder „um inhaltliche Poltik“ kümmern. Kohl sei in der Vergangenheit durch die Partei nicht richtig kontrolliert worden. Tatsächlich haben in der CDU sogar die so genannten jungen Wilden vor Kohl gekuscht und zugelassen, dass er die Partei als Alleinherrscher führte. Jetzt ist weit und breit niemand in Sicht, dem die Christdemokraten zutrauen, dass er oder sie den Laden zusammenhält. Manch einer fürchtet, die CDU werde auseinanderbrechen. Bereits heute ist sie in Modernisierer und Traditionalisten gespalten – der Graben zwischen den Lagern wird durch die jüngsten Enthüllungen tiefer.

Auffallend zurückhaltend reagierten Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen am Wochenende auf die jüngste Entwicklungen. „Personelle Konsequenzen“, fordert die Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller, ohne Namen nennen zu wollen. Der innenpolitische Sprecher der Partei, Cem Özdemir, forderte Kanther immerhin dazu auf, sein Mandat als Bundestagsabgeordneter niederzulegen.

Deutlichere Worte fand der Verfassungsrechtler Hans-Peter Schneider. Er bezeichnete die Spendenaffäre als „schwerwiegender als die Flick-Affäre“. In der Flick-Affäre hätten die Spender das Gesetz umgangen und widerrechtlich Steuervorteile genutzt. „Heute aber sind die Parteien direkt beteiligt, sozusagen als Täter.“

Werner Weidenfeld, Münchener Politikwissenschaftler und langjähriger Berater Helmut Kohls, sieht trotz Stabilität der Demokratie bereits „einen Hauch von Weimar“ über Deutschland liegen. Denn die Bürger würden der Politik mit Misstrauen und Verachtung gegenüberstehen und künftig noch stärker als bisher den Wahlen fern bleiben. Profitieren, so Weidenfeld, werden davon vor allem die kleinen Parteien. Tatsächlich käme die CDU derzeit, so eine aktuelle dimap-Umfrage, nur noch auf 38 Prozent, die SPD auf 39 Prozent, die Grünen auf sieben, die PDS auf sechs, die FDP auf fünf Prozent.

Eher verhalten reagiert die Öffentlichkeit auf die Dreistigkeit, mit der der ehemalige Schatzmeister der hessischen CDU, Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein, die Spendengelder in Lichtenstein gewaschen hat. Er behauptete in der Vergangenheit, das Geld stamme aus „anonymen Vermächtnissen“ von Verstorbenen aus Kreisen jüdischer Emigranten. Auf die Frage von Bild am Sonntag, wie er auf diese Idee gekommen sei, antwortete er ganz trocken: „Wenn eine Partei ein Vermächtnis aus dem Ausland bekommt, dann braucht der Name nicht genannt zu werden, dann ist das in Ordnung.“

Lediglich Michel Friedmann (CDU), stellvertretender Vorsitzende im Zentralrat der Juden, findet deutliche Worte: „Ich verurteile aufs Äußerste, dass man hier die Angelegenheit von jüdischen Emigranten, das Schicksal aus dem Zweiten Weltkrieg und die Judenvertreibung benutzt hat, um in diesem Thema Verdecken-und-Verstecken-Spiele zu machen.“ Friedmann bewertet das als „Skandal im Skandal“.

In der konservativen Presse arbeitet man derweil an der Entlastung der CDU. Sowohl Helmut Kohls taktisches Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit, als auch Kanthers Doppelmoral bezüglich der Geltung von Recht und Ordnung seien nur Spielarten der neuen Unmoral im Lande, lautet das Argument. So meint Claus Jacobi in der Welt am Sonntag: „Jede Demokratie hat die Politiker, die sie verdient. Sie sind Spiegelbild unserer Gesellschaft. Sie sind es auch beim Umgang mit dem Geld. Nicht nur die Sittsamkeit unserer herrschenden Klasse ist da angefressen, sondern die Sittsamkeit unseres Volkes. Arbeitslose betrügen die Sozialbehörde; der Missbrauch hat sich in den letzten Jahren verdreifacht. Bürger hinterziehen Steuern (...) Der süße Duft der Fäulnis weht über das Land.“Eberhard Seidel

Tina Stadlmayer