Gefährliche Weihnachten

Steckbriefe, Drohungen, Demonstrationen: Militante Hamburger Neonazis haben ihre „Anti-Antifa-Arbeit“ so sehr intensiviert, dass selbst der Verfassungsschutz besorgt ist  ■ Von Peter Müller und Andreas Speit

Die militante Hamburger Neonaziszene hat ihre „Anti-Antifa-Arbeit“ wieder intensiviert. Entsprechende Beobachtungen der taz hamburg bestätigt auch der Verfassungsschutz (VS): „Die Anti-Antifa-Tätigkeit hat in den vergangenen Monaten in der rechtsextremistischen Szene wieder an Bedeutung gewonnen“, berichtet Hamburgs Verfassungsschutzchef Reinhard Wagner. Der Verfassungsschutz verfolge diese Entwicklung „mit Besorgnis“, so Wagner, obwohl dem Landesamt für die Region Hamburg derzeit „keine Hinweise über eine Gefahr für konkrete Personen vorliegen“.

Immer häufiger tauchten in den vergangenen Monaten in der Neonazi-Szene im Internet oder in Druckschriften Listen mit Steckbriefen auf. Sie richten sich gegen Personen, Institutionen und Behörden, die den Neonazis ein Dorn im Auge sind. So wurden in der jüngsten Ausgabe des „Wehrwolf“ der „Anti-Antifa Saar-Pfalz“ dutzende Personen genannt und Adressen von linken oder jüdischen Einrichtungen aus Hamburg abgedruckt. Genannt wurden beispielsweise die Büros der „Roten Hilfe“ und der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.

Bei einer DGB-Veranstaltung in Bergedorf verteilten der „Hamburger Sturm“ und der „Sturm 15 Lohbrügge“ im Dezember Flugblätter, auf denen namentlich Gewerkschafter als „ewiggestrige Spießbürger“ an den Pranger gestellt wurden. Auf Demonstrationen machen Anti-Antifa-Fotografen immer wieder – wie vorvorigen Samstag in Bergedorf – Fotos von ihren „Gegnern“. Zum Jahreswechsel kündigten Neonazis im Internet an, Personen aus der Antifa-Szene „Millenniums-Überraschungen“ – sprich: Briefbomben – zukommen zu lassen.

In Göttingen nahmen die Sicherheitsbehörden derartige Drohungen jüngst ernst und warnten „vorbeugend“ betroffene Personen – Politiker und Gewerkschafter – vor einem möglichen Anschlag oder vor Video-Kassetten, die als Briefbomben umfunktioniert sein könnten. Grund der Warnung: Bei Hausdurchsuchungen bei vier Neonazis – unter anderem dem Göttinger Neonazi-Kader Stephan Pfingsten – hatte die Polizei am 29. November 1999 Sprengstoff und Unterlagen zum Bau von Zündern und Bomben gefunden.

Als nach Weihnachten tatsächlich ein Paket für einen linken Politiker vorlag, evakuierte die Polizei sogar vorsichtshalber das Postamt. Es handelte sich aber um ein harmloses Geschenkpäckchen. Pfingsten ist kein Unbekannter. Er ist neben seiner Funktion bei den „Jungen Nationaldemokraten“ auch bei der „Kameradschaft Northeim“ aktiv, die von Thorsten Heise geführt wird. Heise ist ehemaliger niedersächsischer Landeschef der mittlerweile verbotenen „Freiheitlichen Arbeiter Partei“ (FAP). Zusammen mit den Hamburger Neonaziführern Thomas Wulff und Christian Worch stellt er die Weichen für die Neuordnung der Neonazi-Szene in Kameradschaftsbündnisse der „Freien Nationalisten“. Wulff und Worch waren Chefs der ebenfalls inzwischen verbotenen „Nationalen Liste“ (NL). Worch initiierte schon 1992 die Anti-Antifa und veröffentlichte regelmäßig Spähergebnisse in der NL-Zeitschrift „Index“.

Das „Norddeutsche Aktionsbüro“ der „Freien Nationalisten“, das derzeit von Wulff und Worch geleitet wird, hat laut Hamburgs Verfassungsschutzchef Wagner „bundesweit Vorbild- und Modellcharakter“. Heise, der momentan wegen Körperverletzung in Haft sitzt, zählt zu den wichtigsten Verbindungsmännern zum internationalen Nazi-Netzwerk „Blood & Honour“ (B&H). Mittels Skin-Musik und Fanzines versuchen die „Blut & Ehre“-Sektionen, die Skinhead-Szene zu politisieren. „Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen, besser als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann“, erklärte der 1993 verstorbene britische B&H-Gründer Ian Stuart Donaldson das Ziel des Netzwerks.

Neben dem Vertrieb von indizierten neonazistischen CDs organisieren die deutschen Sektionen Konzerte mit neofaschistischen Bands. Aus dem Umfeld von B&H wurden in England und Schweden mehrere Bombenanschläge verübt. Im November erschossen Neonazis in Schweden einen Gewerkschafter. Seit 1990 gab es in dem skandinavischen Land 16 politisch motivierte Morde durch Neonazis.

Für die deutsche Ausgabe des Fanzines B&H wirbt regelmäßig das von Wulff und Worch gestaltete „Zentralorgan“ (Zorg) der „Freien Nationalisten“. Anfang voriger Woche filzten Beamte des Hamburger Landeskriminalamtes Wohnungen und Postfächer von vier Mitarbeitern des Zorg und beschlagnahmten Computer, CD-Roms und 930 Exemplare der Druckschrift. Grund war die Novemberausgabe des Blattes, die mit „Juden raus“ getitelt hatte. Die Polizei ermittelt jetzt wegen des Verdachts der „Volksverhetzung“.

Auch die Redaktion des „Hamburger Sturm“ um Thorsten Bär-thel, Tobias Thiessen, Jan-Steffen Holthusen und Torben Klebe unterhält beste Beziehungen zu dem militanen B&H-Netzwerk. Die seit fünf Jahren erscheinende Zeitschrift – eine Mischung aus Skin-Musik-Fanzine und neonazistischem Mitteilungsblatt – berichtet ausgiebig über B&H-Konzerte und empfiehlt deren CDs. Vor allem Klebe, der wegen der Verbreitung einer indizierten CD der Berliner Nazi-Band „Landser“ zwei Monate in Untersuchungshaft saß, ist wichtiger Kontaktmann des „Hamburger Sturms“ zu den B&H-Sektionen im In- und Ausland.

Offen kommen im „Hamburger Sturm“ aber auch so genannte „National-revolutionäre-Zellen“ zu Wort, die zum bewaffneten Kampf aufrufen. Auf der „Anti-Antifa“-Seite veröffentlicht die Redaktion Namen und Fotos von „Gegnern, die besucht werden können“.

Auch wenn dem VS momentan keine „Erkenntnisse“ über mögliche Anschläge vorliegen, mag Wagner Einzelaktionen auch nicht ausschließen. „Es ist keine einheitliche Szene“, so der Verfassungsschutzchef. Obwohl es einige „Kristallisationsfiguren“ gäbe, die darauf achten würden, „den politischen Kampf nicht durch Straftaten zu gefährden“, so Wagner, gebe es mittlerweile auch „anpolitisierte Skingruppen, die selbstbewusst und eigenständig, nicht voll unter Kontrolle, aber koordiniert mit dem Aktionsbüro agieren.“ Der Verfasssungsschutzchef weiter: „Das macht die Lage- und Gefährdungseinschätzung so schwierig.“