Schreiben an wechselnden Orten

■ Die Bremer Autorin Inge Buck erzählt über ihren Gedichtband „Krähenherz“, fahrende Frauen- und kreative Klassenzimmer

„Die Stadt hindert mich nicht am Schreiben“, sagt Inge Buck am Ende unseres Gesprächs. Gelassen sitzt sie einem gegenüber, eine ungewöhnliche Mischung aus Eleganz und Freundlichkeit. Ungewöhnlich, doch alles andere als unsympathisch. Irgendwann nimmt sie ihre Brille vom Tisch, steckt sie sich in die Haare. Schließlich doch zu einer Bremer Autorin geworden zu sein, ist, denkt man darüber nach, eine etwas irritierende Bilanz. Dabei keineswegs banal. Nach gut dreißig Jahren, die die Theaterwissenschaftlerin Inge Buck nun hier lebt, erscheint Bremen, zumal in den Texten ihres aktuellen Gedichtbands „Krähenherz“, als ständiger Referenzpunkt.

„Moorgräben / die um mein Leben / gezogen sind“, heißt es in „Bremen (1)“. Doch die Beschränkung ist nur eine scheinbare. Nicht um die Begrenztheit des eigenen Horizonts geht es und nicht um das unwiderrufliche Verbundensein mit einem Ort oder einer Landschaft. Umgekehrt wird der lyrische Schuh draus: Bekanntes wird zur Voraussetzung für das Hinausgehen. Worte wie „Reise“, „Besuch“ oder „Zurückgekehrt“ deuten an, wie sehr alles in Bewegung bleibt. Der Blick auf die bekannte Umgebung, auf die Stadt ist kein schwelgerischer. Wie eine Landkarte funktioniert „Krähenherz“, wie eine imaginierte Landkarte.

„Schreiben begleitet mich eigentlich immer.“ Die Worte, mit denen die 1936 in Tübingen geborene Autorin Gesehenes, Gehörtes notiert, sind schlicht: den Augenblick einfangen, mal hier, mal dort. „Der Ausgangspunkt sind häufig Recherchen. Ich begebe mich in fremde Zusammenhänge.“ O-Ton-Arbeiten für eine Radiosendung können Material liefern, das, wie Buck sagt, mit der Sendung nicht erledigt ist. Die Vorarbeit, die nicht auf dem Papier stattfinden muss, wird plötzlich zur Vorarbeit für etwas anderes. Das Gedicht als ein anderer Zugangsweg. Hier verdichten sich Bilder, Situationen. „Aber ich kann's nicht bestellen!“

Das Fotografieren spielt eine wichtige Rolle. Die seien „Notizen“, die dann oft erst viel später in lyrische Texte „übersetzt“ werden. Dazu bilden biographische Momente einen Schwerpunkt nicht nur des literarischen Arbeitens. Sie hat Radio-Features gemacht dazu, hat die Lebenserinnerungen einer Wanderschauspielerin aus dem 18. Jahrhundert herausgegeben. Dort, wie auch in ihren Gedichten, wird deutlich, dass sich das journalistische oder wissenschaftliche Arbeiten doch nicht so leicht vom literarischen trennen lässt, wie sie es gern hätte. Keine Kritik, im Gegenteil: So beginnt das Vorwort zu genannten Lebenserinnerungen mit einer Beschreibung der Handschrift. Dem Material also, das man als Herausgeberin vor sich hat. Mit der Schrift entziffert man ein Leben. Der Akt des Entzifferns ist von einer Bewegung getragen, die sich in verschiedenen Texten Inge Bucks immer wieder finden lässt: Dem Bemühen, zu verstehen, dem Begehren, sich bis dorthin voranzutasten, wo es nicht weiter geht. Der Vorteil der Lyrik sei aber, dass man da nichts beweisen müsse.

Ein anderes Beispiel. Die zweite Abteilung versammelt Gedichte, die um das Aufscheinen des Vergangenen in der Gegenwart kreisen. Es ist eine bestimmte, eine deutsche Vergangenheit. „Jetzt wachsen Bäume / entlang der Lagerstraße“, heißt es da. Die Natur erobert den Ort zurück. Der heißt „Stammlager I“. Bucks Gedichte nähern sich einer Leerstelle, etwas Verschwundenem, das sich nur sehr behelfsmäßig mit „800 Tote / 1000 Tote / 2500 Tote“ beschreiben lässt. Was sagt das heutige Erscheinungsbild von Bergen-Belsen oder Auschwitz aus? Und in welchem Verhältnis steht dies wiederum zu dem, was man weiß? Die Sätze folgen einem Gedanken Ruth Klügers, die sich wiederholt dafür ausgesprochen hat, die scheinbar selbstverständliche Verbindung von Ort und Erinnerung aufzulösen. Die politische oder auch historische Topographie folgt anderen Gesetzen. Und ein wichtiger Bestandteil sind eben die Worte. Und die Texte, die daraus entstehen. „Ich habe alles gesehen / sagte sie zu mir / und ihr Blick / verdunkelt sich / Sie blickt dorthin / wohin ich ihr / nicht folgen kann / Ich sehe nur / auf ihrem Unterarm / die eintätowierte Nummer.“ Dorthin, wohin der eigene Blick nicht folgen kann. Das ist kein Plädoyer für das Nicht-mehr-Sehen. Es ergibt sich die Forderung, anders zu schauen, andere Wege des Erinnerns zu finden.

Buck indes arbeitet weiter. Als Dozentin an der Hochschule Bremen. Sozialpädagogik allerdings steht nicht auf dem Lehrplan. Oder nur um drei Ecken gedacht. Mit ihren Studierenden macht Buck schon mal ein Hörspiel oder unternimmt eine Recherche zu exilierten SchriftstellerInnen. Als Lyrikerin tritt sie Ende des Monats wieder in Erscheinung. Sie, die „ja auch eine Zugereiste“ ist, vertritt mit Johann P. Tammen und anderen Bremen beim „No(o)rdschrift“-Festival im niederländischen Leeuwarden.

Tim Schomacker

Krähenherz. Gedichte. Bremen: WMIT-Druck 1999. 19,80 Mark.