Neulich an der Klagemauer

■ Neujahrsanstoß bei „Anstoß“: Statt Aufbruchstimmung gab es viel Gejammer über die Dauerkrise der Kulturförderung

Die Bremer CDU lädt schon seit vielen Jahren zum Neujahrsempfang, der Präsident der Bürgerschaft hält's ebenso, doch erst jetzt hat sich auch die Kulturinitiative „Anstoß“ hinzugesellt und bittet zu einem winterlichen Stehumtrunk. Wohl 200 Leute aus „Kultur und Gesellschaft“ kamen am Sonntagabend zur Premiere des „Alternativen Neujahrsanstoßes“ in die Galerie Rabus, um „offene Worte zur Kulturpolitik“ zu hören oder selbst welche zum Besten zu geben. Trotz Sekt, Wein oder Saft hatte die Veranstaltung mit einer Anstoß- oder Aufbruchstimmung wenig zu tun und mehr Ähnlichkeit mit einer Trauerfeier.

Kein Wunder: Nicht immer steckt auch Neujahr drin, wo Neujahr drauf steht. Denn das neue Jahr geht zumindest in Sachen Kulturpolitik mit den gleichen Debatten weiter wie das alte aufgehört hat. „Seit über zehn Jahren müssen wir dieselbe Diskussion führen“, weiß die Bündnisgrüne und Ex-Kultursenatorin Helga Trüpel. Die sich nur in Nuancen verändernde Diskussion kreist um den Stimmungs-töter „chronisch unterfinanzierter Kulturetat“, wie auch Trüpels Nach-Nachfolger Bernt Schulte (CDU) inzwischen laut sagt. Zehn Millionen Mark fehlen ihm allein in diesem Jahr. Und wie seine Vorgängerinnen auch, sei er gerade dabei, diese Lücke zu schließen. Aber dabei bleibt Schulte nur eins: „Ich muss den Finanzsenator überzeugen. Das ist mein Job.“ Doch genau da fängt der Spagat an.

Alle Jahre wieder stehen wechselnde SenatorInnen vor'm Geldproblem. Meist haben sie einen Teil der Löcher kurzfristig stopfen können und mittelfristig Reformen angekündigt. Doch hinter diesen Reformgedanken verbirgt sich die Hoffnung auf eine millionenschwere, aber für die BremerInnen möglichst nicht spürbare „Rationalisierung“ der Kulturförderung. Dabei hatte zuletzt die Unternehmensberatung McKinsey helfen sollen. Inzwischen ist allerdings durchgesickert, dass die nach MkKinseys Vorschlägen reformierte Kulturverwaltung um rund eine Million Mark pro Jahr teurer ist als die alte. „Das ist doch skandalös“, wurde am Rand des Neujahrsanstoßes getuschelt. In offenen Worten und durch's Mikrophon brachte Theaterintendant und „Anstoß“-Mitgründer Klaus Pierwoß das Problem auf den Punkt: „Es geht darum, den Status quo zu verteidigen.“

Kultursenator Schulte pflegt eine doppelte Rhetorik. Einerseits stellt er sich vor der Kulturszene als sachkundiger Verbündeter dar, der um einen Nachschlag für die Kultur kämpft. Andererseits rechnet er die Steigerung des Kulturetats – durch Tariferhöhungen und Ähnliches – auf einen Mehrbedarf von 17 Millionen Mark im Jahr 2005 hoch und sagt ganz offen: „Das können wir uns nicht erlauben.“ Seine Behörde hat deshalb ein Papier erarbeitet, nach dem die Kulturförderung an die „mittelfristige Finanzplanung“ angepasst werden soll. Doch diese vom Senat abgesegnete Finanzplanung sieht eine so radikale Kürzung in den konsumtiven Bereichen – inklusive Kultur – vor, als würde man mit einer Motorsäge Modellbau betreiben wollen.

Es ist ein Gemisch aus Beschwichtigung und mehr oder weniger offen beschriebenen Szenarien, mit dem die KulturpolitikerInnen auftreten. Doch die Kulturszene reagiert merkwürdig unbekümmert auf das, was ihr bevorsteht. Wer sich schon heute Sorgen macht, denkt offenbar nicht daran, dass es morgen noch weiter abwärts gehen könnte. So wird schleichend, aber fortschreitend an den „Rändern“ des Bremer Kulturangebots herumgeschnitten: Mal sind ein paar Kulturläden geschlossen. Dann müssen die MuseumspädagogInnen wieder zurück in den Schuldienst. Dann wiederum gibt das Junge Theater allein in der Hoffnung auf eine neue Heimat im Buntentor die Spielstätte an der Friesenstraße auf. Und zurzeit will Schulte, dass die Theater oder Museen die Tarifsteigerungen für ihre Angestellten aus ihren Etats bezahlen. „Das ist eine Kürzung durch die Hintertür“, betont Intendant Pierwoß immer wieder.

Doch egal ob Vorder- oder Hintereingang: Bremens Kulturszene hat viel Grund zum Klagen und griff dazu beim „Neujahrsanstoß“ auch zu den Mikros. Da sind dann wohl formulierte Plädoyers für die Kultur zu hören. Doch bei dieser Art „Anstoß“ bleibt all das in der Familie, also wirkungslos. ck