Schönheitsoperationen in Mitte

„Auf so eine Idee können nur Kanaken kommen“: Im Restaurant Adermann in der Oranienburger liegt das Parkett unter Panzerglas. Der Denkmalschutz freut sich, und Gerhard Schröder bestellt Loup de Mer ■ Von Helmut Höge

Manche Meile in Mitte sieht bereits so edel aus wie bestimmte Flanierabschnitte im Cihangir-Viertel Istanbuls – mit schicken Boutiquen, Restaurants und Kunstgalerien. „Alles Tamam am Taksim“, wie die Jeunesse dorée dort zu sagen pflegt. Ihr alter Treffpunkt „Etap-Patisserie“ wurde sogar Namensgeber für eine neudeutsche Türken-Illu.

Tatsächlich übernahmen auch hier in Mitte die Türken – „als Wessis“ – inzwischen die angesagtesten Restaurants. Die meisten kauften sie Ostlern ab. Gerade findet ein solcher Besitzerwechsel beim Café Ici in der Auguststraße statt. Nicht wenige der neuen Betreiber sind Kurden, sie nennen sich selbst gerne „Kanaken“. Weil ihr Dichter und Sänger der Kieler Sozialforscher Feridun Zaimoglu ist, der die Kanak Sprak salonfähig machte. In der Schweiz gibt es bereits regelrechte Schulungskurse für verschwyzerdütschte Türken und Araber – in dem neuen Metropolenjargon, der nicht nur der Provinzjugend Ausdrucksvorbild ist, sondern auch beim Anglo-Kauderwelsch der Bankbeamten – Banker genannt – Pate stand. Gelegentlich tritt Zaimoglu auch in der „Bar zum wahren Herzen von Berlin-Mitte“, wie er das „Jubinal“ Ecke Tucholskystraße nennt, auf. Der Wirt dort, Serdar, am Chiemsee geboren, ist bestimmt nicht kleinlich. Nicht zuletzt deswegen treffen sich dort abends gern die kurdisch-türkischen Kneipenbesitzer von drum herum.

Dazu gehört beispielsweise der Ex-Kreuzberger Wirt Taifun samt Bruder, denen das Bella Italia am Dreispitz – gegenüber vom Friedrichstadtpalast – gehört, vorübergehend auch noch das Wiener Café daneben. Fest in der Hand von Schwarzköpfen ist auch das Adermann in der Oranienstraße 27, in dessen Diskreträumen im ersten Stock gelegentlich der Bundeskanzler (Schröder) und sein Außenminister (Fischer) speisen. Zuletzt gab es dort gefülltes Rinderfilet auf Balsamicolinsen und Thymianpüree für 42 Mark sowie Loup de Mer, im Ganzen gegrillt, mit Tomatensalat für 44 Mark.

Beeindruckend ist dort vor allem der älteste Parkettfußboden Berlins, dessen Begehung das Amt für Denkmalschutz nicht gestatten wollte und den der Besitzer deswegen einfach mit Panzerglas abdeckelte: „Auf so eine aberwitzige Idee können nur Kanaken kommen!“ meinte Serdar, der uns eine kurze Führung durch das wilde Kurdistan in Mitte gab; anschließend spendierte er noch eine Runde in seinem Lokal „Jubinal“, wo wir von den jungen nordrhein-westfälischen Gäste erfuhren, dass es inzwischen ein Muss ist – für immatrikulierte Westdeutsche ebenso wie für exmaoistische Kurden –, in Mitte zu wohnen und womöglich dort zu arbeiten.

Letztere, die Kurden, trieb es später sogar noch weiter nach Mitte rein: in die Hamburger Sakkozwang-Bar Shark-Club, direkt neben dem Heidelberger Dussmann-Center, wo die drei Haie jedoch noch so winzig sind, dass man sie in dem 16.000-Liter-Aquarium gar nicht findet. Die Kanaken wollten aber sowieso bloß ihre Neugier stillen: „Mal antesten, das Ding! Für neue Klubideen sind wir immer zu haben“, meinte einer.

Ich kam dort mit einem griechischen Schönheitschirurgen ins Gespräch und erfuhr dabei, dass gleich vier Mitarbeiter der türkischen Redaktion des SFB-Senders Multikulti sich neulich die Nase operieren ließen. Als Integrationsschub-Maßnahme, wie er vermutete. In den USA sei das schon seit fast hundert Jahren gängige Praxis, dass beispielsweise Juden, Araber und Iren sich ihre Nasen korrigieren ließen. Ab Mitte dieses Jahrhunderts wurde mit den Kennedys jedoch die meist kleine und etwas servil wirkende irische Nase auf einmal schick. Und bald galten auch die jüdische und die arabische Nase als akzeptabel. Der Chirurg erwähnte als Beispiel Barbra Streisand. Die Nasenoperationen der türkischen Rundfunkredakteure waren ihm deswegen Beleg für die relative Rückständigkeit der BRD in Bezug auf multikulturell-multiple Schönheitsideale. Andererseits hielt er die vier aber gleichzeitig auch für zu ungeduldig: „Gerade als Kulturschaffende hätten sie doch die Entwicklung ahnen, ja riechen müssen!“ Meinen Einwand, dass man Radiomacher doch so oder so nicht sehe, tat der Schönheitschirurg mit der Bemerkung ab: „Die haben das natürlich für ihre Liveauftritte nach Feierabend in den Klubs der neuen Mitte getan.“

Dann erzählte er mir, dass diese ganze Schönheitskorrektur-Konjunktur mit der zunehmenden Konkurrenz der plastischen Chirurgen und ihrer Institute in der Hauptstadt zu tun habe. Viele böten inzwischen schon Gutscheine an, mit denen man Schönheitsoperationen verschenken könne. Einer, bei dem sich u. a. der Radiomoderator Arno (von der 104,6-Morgencrew) sein Fett absaugen ließ, habe neulich sogar den RTL-Sender überreden können, Schönheitsoperationen zur Verlosung anzubieten – unter dem Motto „Berlin soll schöner werden“! Ein Gericht verbot diese Werbung jedoch wenig später.

Da ich wusste, dass die taz-Berlinredakteurin Songül unlängst zwei Texte zur Etap beisteuern sollte, schlich ich mich anderntags voller dunkler Vorahnungen in das Redaktionsgebäude – bis ich sie traf: Gott sei Dank. Sie hatte noch immer ihre geradezu klassische Adlernase! Dafür jedoch plötzlich einen kleinen braunweißen Hund an ihrer Seite, der aussah wie einer RTL-Serie entsprungen: „Aus Ibiza mitgebracht!“, erklärte Songül.