Leistungsvergleiche machen Schulen besser

■ Sybille Volkholz meint: Pisa ist kein 100-Meter-Lauf der Schulen. Es sollen auch Schlüsselqualifikationen gemessen und die Schulatmosphäre betrachtet werden

Debatten um Schulqualität und Leistungsvergleiche erregen offensichtlich in hohem Grade die Gemüter. Die Timss-Studie, die nachfolgenden Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Nordrhein-Westfalen und jetzt die OECD-Studie Pisa sortieren die bildungspolitische Diskussion in der Republik vollkomen neu. Die Gegner sehen schon alle reformpädagogischen Bemühungen im Orkus verschwinden: „Der schulische Bildungsauftrag wird auf traditionelle Leistung, nachprüfbares Wissen verengt“, klagen sie. Aber was passiert hier eigentlich Schreckliches?

Die Ergebnisse der Timss-Studie haben gezeigt, dass deutsche SchülerInnen in mathematisch-naturwissenschaftlichen Leistungen im internationalen Vergleich gerade mal in der Zweiten Liga spielen. Die Bildungsplaner von Bund und Ländern haben darauf prompt reagiert und ein Projekt zur „Verbesserung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts“ gestartet. Auch die Konferenz der Kultusminister hat mit der Beteiligung an der OECD-Studie Pisa ihrerseits Konsequenzen gezogen. Die Studie wird die Lesefähigkeit, das mathematisch-naturwissenschaftliche Verständnis und so genannte bereichsübergreifende Fähigkeiten wie Problemlösungskompetenzen anhand der bei Schülern abgefragten Leistungen vergleichen.

Ohne Zweifel gehört die Vermittlung dieser Fähigkeiten zum Auftrag der Schule. Schulische Erziehungsarbeit braucht einen umfassenden Bildungsbegriff. Aber auch die Verfechter von Leistungsvergleichen halten die Inhalte der bisherigen Studien nicht für den ausschließlichen Auftrag der Schule. Gerade mit Pisa wollen sie Methoden entwickeln, wie auch so genannte Schlüsselqualifikationen besser erfasst werden können. Selbst die Bereitschaft zum sozialen Engagement wird Gegenstand von Schuluntersuchungen sein: Wie gestaltet eine Schule ihr Schulleben, wird gefragt. Oder: Was wird außerhalb des Unterrichts für SchülerInnen angeboten? Das englische System der Schulinspektion etwa hat ausdrücklich die Schulatmosphäre zum Gegenstand der Bewertung von Schulen gemacht.

Die Gegner der Leistungsvergleiche argumentieren, die Schule habe sich an den individuellen Möglichkeiten ihrer Schüler zu orientieren und „die ihnen anvertrauten Kinder zu möglichst guten Leistungen zu befähigen“. Dem wird niemand widersprechen. Aber woher beziehen sie die Maßstäbe für die Anforderungen, die zu stellen sind? Die Vergleichsgegner bleiben damit in einer internen Sicht befangen und erhalten keine Kenntnis darüber, welche Chancen ihre Jugendlichen im Vergleich zu anderen haben.

Schulen haben in der Regel eine hohe Selbstbezüglichkeit und wenig Kontakt zu anderen Realitäten des Lebens und der Gesellschaft. Allein intern lassen sich aber keine Maßstäbe für Leistungen und Fähigkeiten entwickeln, die Jugendliche zur Bewältigung ihres Lebens brauchen.

Bildung erhält zunehmendes Gewicht bei der Zuteilung von Lebenschancen. Jugendliche stehen auf dem Arbeitsmarkt heute unter einem erheblichen Konkurrenzdruck, auch deshalb wird stärker nach den Leistungen gefragt. Eltern sind zunehmend kritischer, und sie wollen genauer hinschauen können, was die einzelne Schule für ihre Kinder anbietet. Die Öffentlichkeit will angesichts des hohen Ressourcenverbrauchs und auch der Zeit, die Jugendliche in Bildungseinrichtungen verbringen, Rechenschaft darüber, was in den Einrichtungen erreicht wird. Die immer wiederkehrenden Klagen der Abnehmerseite – seien es die der Hochschulen oder der Wirtschaft – über mangelnde Fähigkeiten von Auszubildenden oder Studierenden kann nicht mehr folgenlos abgewehrt werden.

Eine größere Transparenz ist daher vonnöten. Wenn die Vergabe von Berechtigungen weiterhin bei der Schule liegen soll, muss die Aussagekraft der Abschlüsse verbessert werden.

Wer den Auftrag der Schule ernst nimmt, Nachteile von Bildungschancen auf Grund sozialer Herkunft zu verringern, muss sich daher intensiv der Diskussion über Standards und Maßstäbe widmen, die von außen an die Schule gestellt werden. Wir brauchen die Verständigung darüber, was in den Fächern in den verschiedenen Klassenstufen gelernt werden und was an Fähigkeit verfügbar sein sollte. Die Orientierung an den individuellen Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen, die Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen sozialen und kulturellen Voraussetzungen ist kein Gegensatz dazu, sondern notwendige Ausgangsbasis.

Ein Verdienst des bereits vollzogenen Leistungsvergleichs in Hamburger Schulen ist der Nachweis, dass Schulen mit ähnlicher soziokultureller Zusammensetzung der SchülerInnen zu höchst unterschiedlichen Leistungen befähigen können. Hier fängt die spannende pädagogische Debatte erst an.

Die Bereitschaft von allen Beteiligten, sich den Fragen von außen, von Eltern und der Öffentlichkeit zu stellen und in die Karten gucken zu lassen, würde die gesellschaftliche Achtung der Schule fördern. Die „empirische Wende“ der Erziehungswissenschaft und der Schulforschung kann einen entscheidenden Schritt zur Schulentwicklung bedeuten und zum Nutzen für Schülerinnen und Schüler sein.