■ Das Portrait
: Der Schüchterne

Ricardo Lagos

Seine Mutter Ema wollte, dass der Sohn bis nach ganz oben kommt. Präsident sollte er werden – der Universität Santiagos. Die politischen Ambitionen ihres Sohnes verfolgte sie eher mit Argwohn denn mit Stolz. Trotzdem wird die heute 103-Jährige am Sonntag gefeiert haben. Denn der Sozialist Ricardo Lagos ist neuer Präsident Chiles.

Als er Anfang vergangenen Jahres von der Concertación, der in Chile regierenden großen Koalition aus Christdemokraten und Sozialisten, zum Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde, galt eine Sache als sicher: er war der natürliche Nachfolger des scheidenden Präsidenten Eduardo Frei. Doch er hatte seinen rechten Gegenkandidaten Joaquín Lavín unterschätzt. Ein zweiter Wahlgang wurde notwendig, aus dem er am Sonntag mit drei Prozent Vorsprung als Sieger hervorging.

Lagos ist im Auftreten eher schüchtern und zurückhaltend. Daher hatte er auch im Wahlkampf große Schwierigkeiten, mit dem rhetorisch frischen Rechtsausleger Lavín Schritt zu halten. Lagos ist eher ein Intellektueller als einer, der die Massen begeistern könnte.

Der heute 61-Jährige studierte Jura in Santiago und engagierte sich als Student in der Sozialistischen Partei. Mit 22 Jahren schrieb er seine Abschlussarbeit über die Konzentrationsprozesse in der chilenischen Ökonomie. In den 60er-Jahren war er eine der Schlüsselfiguren der Unifersitätsreform.

Als der Sozialist Salvador Allende 1970 zum Präsidenten des Landes gewählt wurde, war Lagos einer seiner Unterstützer. Aber er kritisierte auch die Wirtschaftspolitik Allendes, den er trotzdem bis heute bewundert. Allende wollte ihn als Botschafter nach Moskau schicken, doch der Putsch vereitelte dies. Stattdessen floh Lagos 1973 über Argentinien in die USA.

In seinem neuen Exil machte er den Doktortitel in Ökonomie und begann eine erfolgreiche Karriere bei internationalen Organisationen. Nach dem Ende der Diktatur in Chile (1990) kehrte Lagos in den Andenstaat zurück, um sich erneut der Parteipolitik zu widmen. Von seinem Posten als Erziehungsminister trat er Anfang vergangenen Jahres zurück, um sich besser auf den Wahlkampf konzentrieren zu können, nachdem er auf dem Parteitag der großen Koalition zum Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde. „Ich will Präsident aller Chilenen sein“, waren damals seine Worte. Ingo Malcher