■ Neuer chilenischer Präsident steht vor großen Herausforderungen
: Die Erblast Pinochet

Am Ende hat es doch noch gereicht. Der Sozialist Ricardo Lagos ist der neue Präsident Chiles; das Wahlergebnis fiel mit knapp drei Prozent Vorsprung überraschend deutlich zu seinen Gunsten aus. Lange jedoch bestand die Gefahr, dass die große Koalition aus Christdemokraten und Sozialisten die Macht an einen rechten Präsidenten abgeben muss. Doch trotz seines Wahlsieges: Lagos steht vor massiven innenpolitischen Herausforderungen.

Die Rechte in Chile hat die Zeit ohne Pinochet genutzt, um sich neu zu formieren und um sich vor allem einen demokratischen Anstrich zu geben. Diese Operation ist bestens gelungen. Die Rechte steht nicht mehr für Autoritarismus und Diktatur wie zu jenen Zeiten, als Pinochet noch im Land weilte. Stattdessen ist sie wieder zu einem normalen Faktor der chilenischen Politik geworden. Sie konnte sich als eine überzeugende Wahlalternative etablieren, denn immerhin hat fast die Hälfte aller Wähler für den neurechten Lavín gestimmt. Dieser wird sich nun mit einer harten Oppositionspolitik gegen Lagos profilieren.

Zudem ist da immer noch die Erblast Pinochet: Viele der sozialistischen Wähler fordern ein Gerichtsverfahren, sollte er nach Chile zurückkehren. Und in der Tat ist der Mythos des ehemaligen Präsidenten nur so aus der Welt zu schaffen. Ein Gerichtsverfahren gegen Pinochet würde jedoch Lagos in heftige innenpolitische Konflikte verwickeln. Denn um Pinochet anzuklagen, wäre eine Verfassungsänderung nötig, die aber nur mit Hilfe der rechten Parteien zu Stande kommen kann. Von dort wie auch von den Militärs ist jedoch massiver Widerstand zu erwarten. Kompromisse sind also nötig, doch sie wiederum würden Lagos schnell den Vorwurf seiner Anhänger und Wähler eintragen, er reiche den rechten Gegnern nur helfend die Hand.

Lagos ist der einzige chilenische Politiker, mit dem eine Aufarbeitung der Vergangenheit gelingen kann. Man könnte ihn als den chilenischen Willy Brandt bezeichnen: Wie dieser hat er lange im Exil gelebt und ist nun der erste sozialdemokratische Präsident, seitdem die Demokratie wieder eingeführt wurde.

Langfristig wird sich Lagos gegen Lavín jedoch nur durchsetzen können, wenn es ihm gelingt, die Wirtschaft zu sanieren. Und das bedeutet auch, dass er einen Schwerpunkt auf die Sozialpolitik legen und nach einer Alternative für das gescheiterte neoliberale Modell suchen muss. Ingo Malcher