Wiener Regierungsbildung im Finale

■ Sechzehn Wochen nach den Parlamentswahlen in Österreich zeichnet sich eine Neuauflage der bisherigen Koalition ab

Bundespräsident Klestil will FPÖ-Chef Haider nichtin der Regierung und drohtmit Neuwahlen

Wien (taz) – „Wir sind im vierten Satz der Symphonie. Möglich, dass das Finale presto zu Ende gespielt wird.“ So optimistisch wie vergangenen Sonntag hatte sich der Fraktionschef der konservativen ÖsterreichischenVolkspartei (ÖVP), Andreas Khol, in letzter Zeit selten über den Verlauf der Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten (SPÖ) geäußert. Alles deutet darauf hin, dass sich in der 16. Woche nach den Nationalratswahlen vom 3. Oktober die Bemühungen um eine neue Regierung in der Zielgerade befinden. Doch den skeptischen Bemerkungen anderer Verhandlungsteilnehmer ist zu entnehmen, dass die Symphonie durchaus noch eine Unvollendete werden könnte.

Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) deutete gestern vor Beginn der nunmehr 9. Verhandlungsrunde an, dass die Volkspartei noch immer mit der Variante einer Koalition mit Jörg Haiders Freiheitlichen (FPÖ) liebäugle. Haider hatte dem bisherigen Vizekanzler und Außenminister Wolfgang Schüssel für den Fall des Zusammengehens mit der FPÖ den Kanzlerposten angeboten. Wie die in diesen Dingen meist wohlinformierte Neue Kronen Zeitung vor einigen Tagen kolportierte, strebe Haider einen Pakt von zwei Legislaturperioden an, durch den die seit 1970 regierenden Sozialdemokraten für zumindest acht Jahre von der Regierung ferngehalten werden sollten. Nach den Wahlen 2003 wolle Haider dann selbst Bundeskanzler werden.

In der ÖVP, die durch die Wähler erstmals auf den dritten Platz verwiesen wurde, gibt es dafür nicht wenige Sympathisanten. Deswegen ist es nicht ausgeschlossen, dass Schüssel, wenn er vor den für heute Nachmittag einberufenen Parteivorstand tritt, um einen Koalitionspakt mit der SPÖ vorzustellen, zurückgepfiffen wird. Denn alle Punkte, die der Basis am Herzen liegen, wird er auch im günstigsten Fall nicht durchsetzen können.

Bisher konnte man sich über so heikle Dinge wie die Privatisierung der in der Österreichischen Industrie Holding AG (ÖIAG) zusammengeschlossenen Staatsbetriebe und das Kindergeld einigen. Über die äußere Sicherheit wurde bislang nicht gesprochen. Während die ÖVP einen baldigen Nato-Beitritt anstrebt, wollen die Sozialdemokraten das Bündnis nicht einmal erwähnt haben.

Auseinandersetzungen sind auch bei der Ressortverteilung zu erwarten. Die ÖVP will den Posten des Finanzministers besetzen und versucht, die Glaubwürdigkeit des bisherigen Ressortchefs Rudolf Edlinger zu unterminieren. Strittig ist auch, wo eingespart werden soll. Edlingers Plan, das Pensionsalter um ein Jahr hinaufzusetzen und den Frühpensionisten vier statt bisher zwei Prozent von der Rente abzuziehen, stößt bei der eigenen Gewerkschaftsbasis auf Proteste. Die Absicht, frei werdende Posten in der öffentlichen Verwaltung nicht mehr zu besetzen, wird von der unter der Beamtenschaft stark verankerten ÖVP bekämpft.

Falls die bisherige Koalition fortgeschrieben wird, so wäre das nicht zuletzt Bundespräsident Klestil zu verdanken, der Haider wegen der zu erwartenden internationalen Reaktionen nicht in der Regierung haben will und mit Neuwahlen drohte, sollten sich die Parteien nicht einigen. Umfragen zufolge liegt die SPÖ nur noch knapp vor der FPÖ, während die ÖVP unter die 20-Prozent-Marke rutschen würde. Ralf Leonhard