Geheimdienstlegenden umwuchern ihn

■ Johannes Weinrich gilt als dienstältester deutscher Terrorist aller Zeiten. 20 Jahre lang stand er ganz oben auf den Fahndungslisten. Zum Verhängnis wurde ihm die gewandelte politische Weltlage

Berlin (taz) – In der Welt des Terrorismus geht es nicht anders zu als in jener der Geheimdienste. Über Nacht können aus den Gegnern von gestern die Verbündeten von morgen werden. Ein solcher, nicht ungewöhnlicher Frontenwechsel wurde Johannes Weinrich gleich mehrfach zum Verhängnis. Weil der durch den jahrelangen Bürgerkrieg geschwächte Jemen nach der Vereinigung dringend Geld benötigte, bot er der Bundesregierung ein Geschäft an: Weinrich gegen Wirtschaftshilfe. Bonn griff zu. Damit endete die Freiheit des „dienstältesten deutschen Terroristen aller Zeiten“, so das Bundeskriminalamt (BKA), am 1. Juni 1995 in einem Gemüsegärtchen in Jemens Hauptstadt Aden.

Fast zwanzig Jahre hatte Weinrich ganz oben auf den Fahndungslisten gestanden. Gesucht wegen Mordes, Mordversuchs und diverser Sprengstoffanschläge. Nach Meinung internationaler Sicherheitsbehörden soll er für den Tod von mindestens zwölf Menschen verantwortlich sein.

Begonnen hatte Weinrichs Weg unspektakulär wie der vieler junger Menschen seiner Generation, von Polizei und Verfassungsschutz (VfS) allerdings aufmerksam beobachtet: Erste politische Erfahrungen sammelte er bei Sit-ins gegen die Notstandsgesetze. Studierte Journalistik, ging dann nach Frankfurt und engagierte sich im Sozialistischen Deutschen Studentenbund und in einem Solidaritätskomitee für die US-amerikanischen Black Panthers. 1974 gründete er gemeinsam mit drei Mitstreitern einen kleinen Verlag und vertrieb revolutionäre Literatur. Einer jener Gefährten war der als RZ-Mitglied später erschossene Wilfried Böse.

Wann und wie Weinrich zum Terrorismus kam, liegt im Dunkeln. Laut BKA und VfS soll er sehr schnell in Kontakt mit Illich Ramirez Sanchez gekommen sein, der unter dem Decknamen „Carlos“ den Sicherheitsdiensten schon damals als internationaler Topterrorist galt. Für Carlos soll Weinrich 1975 seinen ersten Job erledigt und für einen Raketenanschlag auf den Flughafen Paris-Orly die Vorbereitungen getroffen haben. Drei Monate später in Frankfurt festgenommen, wurde Weinrich am 18. November 1975 jedoch aus der Untersuchungshaft entlassen. Er verschwand und lebte fortan im Untergrund.

Nun beginnen die Geheimdienstlegenden um Johannes Weinrich zu wuchern. Was davon stimmt, wird kaum zu klären sein. Den diversen Diensten in aller Welt jedenfalls gilt er jetzt als Carlos' rechte Hand. Neben dem Orly-Anschlag lasten sie ihm neben einer möglichen Beteiligung am Überfall auf die Wiener OPEC-Konferenz (1975) einen Bombenanschlag auf den Münchner Sender Radio Free Europe an (1981); einen weiteren auf den saudischen Botschafter in Athen (1983) und jenen auf das Maison de France in Berlin (1983), für den der inzwischen 52-Jährige gestern zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Offiziell allerdings hatten die deutschen Fahnder jahrelang keine „gesicherten Erkenntnisse“ über Weinrichs Aufenthalt. Erst 1991 spürten sie ihn in Damaskus auf, wo er vom syrischen Geheimdienst protegiert worden war. 1994 verließ er die Stadt, die Zeiten begannen sich zu wandeln. Über Khartum, Dschibuti und Tripolis landete Johannes Weinrich in Aden. Ein weiter Weg für die letzte, kurze Zeit in Freiheit.

Im Februar 1996 begann in Berlin der Prozess wegen des Bombenanschlags auf das Maison de France, bei dem ein Mensch ums Leben gekommen und weitere 23 verletzt worden waren. Dass dieser Prozess überhaupt möglich wurde, liegt ebenfalls an der gewandelten politischen Weltlage. In der Stasi-Hinterlassenschaft fanden sich belastende Akten, weiteres Material steuerte das Archiv des einstigen ungarischen Geheimdienstes bei.

Terrorismus, so meinte Johannes Weinrich in seinem Schlusswort, sei ein Mittel „sich zu wehren“. Nicht die „Hoffnungen, für welche die Befreiungsbewegungen“ gekämpft hätten, seien ein Irrtum gewesen, sondern „die Ungeduld“, das Ziel auch selbst noch zu erreichen. Ein weiterer dürfte sein, sich bei diesem Kampf auf scheinbar „befreundete“ Geheimdienste zu stützen. Diesen Irrtum aber hat auch Johannes Weinrich offenbar noch nicht begriffen.

Otto Diederichs