Genugtuung über das „deutsche Modell“

■ In Frankreich wird mit Erleichterung registriert: Nicht nur die eigenen, auch die deutschen Politiker sind korruptionsanfällig

„Jenseits des Rheins könnte das nicht passieren“, lautete Mitte der Neunzigerjahre eine Standardformel im französischen Establishment. Damals kam ein französischer Politiker nach dem anderen vor Gericht, endeten mehrere im Gefängnis und mussten einige für Jahre aus dem Pariser Politikgeschäft aussteigen. Das passierte sowohl Sozialisten als auch Konservativen und betraf immer illegale Vorteilsnahmen – mal für die Parteikassen, wie im Fall des einstigen sozialistischen Schatzmeisters Emanuelli, mal für Privatschatullen, wie im Fall des Mitterrand-Vertrauten Tapie, der sich unter anderem ein Pariser Stadtschloss ergaunerte. In Lyon und Grenoble ließen sich Bürgermeister von Industriellen Reisen finanzieren, und in Paris brachte der konservative Premierminister Juppé seine Kinder in Sozialwohnungen unter.

„Outre-Rhin“ war damals noch das unbestrittene Reich von Kanzler Helmut Kohl. Der galt damals als Inbegriff des Moralischen und Integren. Wer nicht sein „ami“ war, konnte in Frankreich, wo die Politiker bereits als „tous pourris“ („alle korrupt“) verschrieen waren, keine Karriere machen. Das galt selbst für François Mitterrand oder Jacques Chirac.

„Jenseits des Rheins“, erklärten französische Journalisten ihrem Publikum Mitte der Neunzigerjahre immer wieder, „gibt es Gesetze, die die Parteienfinanzierung regeln und transparent machen. Und es gibt Stiftungen, die für eine sinnvolle Verwendung von Spenden sorgen.“ Das „deutsche Modell“ wurde vielfach zur Nachahmung empfohlen. Seit Kohl & Co nun ihrerseits wegen nicht deklarierter Parteispenden ins Gerede kommen, macht sich in Frankreich so etwas wie Erleichterung breit. Die Erkenntnis, dass nicht nur die mediterranen Länder, sondern auch die deutschen Saubermänner korrupt sein können, sorgte sogar für Genugtuung.

„Korruption über alles“, übertitelt das Pariser Magazin Marianne in den Farben schwarz-rot-gold eine Geschichte, die daran erinnert, dass es schon vor Kohl & Co Schmiergeldzahlungen in Deutschland gab: darunter die Fibag-Affäre, die Franz Josef Strauß zu Fall brachte, und die Flick-Affäre, die CDU, SPD und Liberale betraf. Weniger reißerisch gehen die Pariser Tageszeitungen Le Monde und Figaro seit Wochen den Spuren der CDU-Parteispendenaffären nach, die zu einem Teil nach Frankreich, in die Zentrale des Erdölkonzerns Elf führen, der beim Aufkauf der Minol-Tankstellen und der Raffinerie von Leuna beträchtliche Schmiergelder gezahlt haben soll.

An den Pariser Kneipentresen werden Deutsche jetzt ironisch gefragt: „Sollten eure Politiker tatsächlich so korrupt sein wie unsere?“ In Frankreich treten einige der Mitte der Neunzigerjahre wegen Bereicherung und Finanzaffären erwischte Politiker heute bereits ihr Comeback an. Tapie versucht es nach seinem Knastaufenthalt als Radiomoderator. Juppé hingegen, den es bloß in das Rathaus der Provinzstadt Bordeaux verschlagen hat, bringt sich schon wieder für nationale Posten ins Gespräch. Die Rechtsextremen hingegen, die Mitte der Neunziger mit dem Slogan „tous pourris“ mächtig von den Korruptionsaffären profitierten, befinden sich auf einem leicht absteigenden Ast.

Dorothea Hahn, Paris