Klingelingeling ... klingelingeling ....

■ ... hier kommt wieder Armin Kölbli, der Eiermann. Der Bremer Künstler ist jetzt aus Tschernobyl zurückgekehrt, wo er am Rande der Sperrzone rund ums 1986 havarierte Atomkraftwerk ein gigantisches Betonei abgelegt hat

EIn Eiertransport nach Tschernobyl kostet 25.000 Mark. Zumindest, wenn das Ei aus Beton ist und die ei-untypischen Maße von 3,33 Metern Höhe und 2,34 Meter Dicke hat. Im Handgepäck geht sowas nicht mit. Und an den Briefmarken hätte man eine mittlere Ewigkeit zu lecken, ehe das Ei als Päckchen ausreichend frankiert wäre.

Armin Kölbli hat sich für den ebenfalls nicht gerade preiswerten Transport mit dem Lkw entschieden. Das nötige Kleingeld hat ihm die Raiffeisenbank-Filiale aus seiner baden-württembergischen Geburtsstadt Durmersheim zur Verfügung gestellt. „Verwendungszweck: Transport ,Ei' nach Tschernobyl“ steht nun in seinem Darlehensvertrag, der Armin Kölbli in den nächsten Jahren immer daran erinnern wird, wie er die letzten vier Tage vor dem Sprung ins Jahr 2000 verbracht hat: Als Ei-Begleiter quer durch die Ukraine, seit an seit mit Nikolai, dem ungarischen Lkw-Fahrer. Unterhalten konnte sich das Duo mangels gemeinsamer Sprache zwar nicht. Dafür beeindruckte Nikolai durch die Gelassenheit, mit der er seine tonnenschwere Fracht über tief verschneite Straßen und an noch tiefer gähnenden Straßengräben souverän vorbeisteuerte, bis nach vier Tagen das ukrainische Iwankowo erreicht war.

Dort, in der letzten bewohnten Stadt am Rande der entvölkerten 30-km-Sperrzone rund um das 1986 havarierte Atomkraftwerk von Tschernobyl, liegt nun Kölblis Ei. Und wer innerhalb der nächsten 1.000 Jahre nach Tschernobyl will und aus dem Süden anreist, kommt nicht umhin, einen Blick auf dieses Objekt zu werfen. Was aber hat ein großes, weißes Betonei in Tschernobyl verloren?

„Es ist ein Mahnmal“, sagt Kölbli. Ein weithin sichtbares Zeichen, das an einem skandalträchtigen Ort an jenes Jahrhundert erinnern soll, das sich dem technischen Größenwahn und der völligen Naturvergessenheit verschrieben hatte. Sieht man von dem riesigen Betonmantel ab, unter dem der noch immer brodelnde Reaktorkern eingeschlossen ist, erinnert in Tschernobyl nur wenig an die Nuklearkatastrophe. Doch die Gefahr ist nicht gebannt. Der Betonmantel zeigt starke Risse und hätte längst erneuert werden müssen. Und der Wald innerhalb der 30-km-Speerzone ist derart kontaminiert, „dass ein Waldbrand hier ähnliche Folgen hätte wie der Reaktorbrand von 1986“, erzählt Kölbli.

Bis zum Jahr 3007 soll das Ei in Wankowo liegen, ehe es von den dann dort lebenden Menschen geöffnet werden darf. In einem Atomfass im Inneren des Eis wird Kölbli nämlich im April mehrere tausend Briefe deponieren, die ihm im Laufe der 90-er Jahre Menschen aus aller Welt geschickt haben. US-amerikanische Kids träumen darin von autofreien Highways, eine Japanerin schwört ihrer Jugendliebe ewige Treue und so mancher Europäer wünscht sich den Übermenschen herbei, der zukünftig für Frieden und eine drogenfreie Welt sorgen möge.

Mittels dieser Briefe, hofft Kölbli, werden die Menschen des 4. Jahrtausends von den Sehnsüchten und Hoffnungen ihrer Vorfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte erfahren. Und vielleicht trägt das Ei dazu bei, ein kollektives Gedächtnis über Jahrhunderte hinweg zu etablieren. „Schließlich wird doch jeder Briefschreiber seinen Nachkommen erzählen, dass er sich am Ei-Projekt beteiligt hat“.

Bereits vor knapp zehn Jahren hat der 40-Jährige in Bremervörde eine ähnliche Kunstaktion initiiert. 600 Briefe versenkte er damals in seinem ersten Ei, das im Jahr 2991 geöffnet werden darf. Seitdem verfolgt ihn die Idee, in Tschernobyl ein zweites Ei zu platzieren. Nach diversen Stationen, die das zweite Ei von der Hochschule in der Bremer Neustadt über mehrjährige Zwischenstopps in Berlin und zuletzt Budapest führte, hat er sein Ziel nun erreicht. Seines Wissens ist Kölbli damit der erste Künstler, der in Tschernobyl ein Kunstwerk errichtet hat, das der Katastrophe gedenkt.

Ohne Hilfe von Alexander F. Bozhko hätte das nicht geklappt. Den Präsidenten der Ukrainian Youth Chernobil Foundation, die sich um kranke Kinder aus der Region kümmert, hatte Kölbli im Herbst 1999 bei seinen ersten Besuchen in Kiew kennen gelernt und für sein Projekt begeistern können. Bis zuletzt hatten die ukrainischen Behörden und Zöllner mit immer neuen bürokratischen Auflagen den Transport des Eis von Budapest nach Wankowo behindert. Doch Bozhkos mit offiziösen Stempeln übersäte Briefe und Faxe beeindruckten glücklicherweise immer die richtigen Leute im richtigen Moment.

Stolz, ein ziemlich gutes Gefühl und eine abgründige Müdigkeit sind Armin Kölbli von seinem Ukrainetrip Ende Dezember geblieben. Und, nicht zu vergessen, ein Darlehen von 25.000 Mark. „Mein Beitrag zum Weltgeschehen“, sagt der 40-Jährige, in Reichtümern nicht gerade schwimmende Künstler lapidar. Ein großes, weißes Riesenbetonei – es gibt wahrlich Schlimmeres, was man zum Weltgeschehen beisteuern kann.

zott

Wer im Ei von Tschernobyl noch einen Brief deponieren möchte, kann bis zum 15. März schreiben an: „Das Ei, 27432 Bremervörde.“ Wer Kontakt aufnehmen will zu Armin Kölbli oder ihn finanziell unterstützen möchte, erreicht ihn unter Tel.: 794 02 90