Ein Mann wird gejagt

■ Im April wird entschieden, ob der Kaufhauserpresser Arno Funke vorzeitig entlassen wird. Die Medien haben ihm übel mitgespielt

Arno Funke ist nicht zu beneiden. Im April entscheidet die Strafvollstreckungskammer, ob der ehemalige Kaufhauserpresser nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Haftstrafe in Freiheit darf. Dabei geht es nicht nur darum, wie sich der 49-Jährige im Gefängnis geführt hat. Der Leiter der Strafanstalt Plötzensee hat bereits erklärt, dass er eine vorzeitige Freilassung befürworte. Eine große Rolle spielt auch ein Faktor, den Funke selbst wenig beeinflussen kann: Seine Darstellung in den Medien.

Ähnlich wie ihn einst die Polizei jagte, wird Funke seit seiner Verurteilung 1996 zu neun Jahren Haft von der Boulevardpresse gehetzt. Um seinen ersten Ausgang nicht zu verpassen, lauerten Journalisten tagelang vor den Gefängnistoren herum, sodass Funke durch den Hinterausgang fliehen musste. Als er ein anderes Mal mit dem Fahrrad das Gefängnis verließ, wurde er im Auto verfolgt, konnte aber entkommen. Doch die Verschnaufpause währte nicht lange. Beim nächsten Mal machten die gleichen Journalisten auf Waffengleichheit und fingen ihn per Rad ab. Nur weil die Kette von Funkes Rad kaputt ging, gab er sich schließlich geschlagen. Das Ende vom Lied war ein Artikel, in dem es hieß, dass Funke mit einem Markenfahrrad und Designerschuhen gesichtet wurde. Bei dem „Markenfahrrad“ handelte es sich um ein Gebrauchtrad und bei der angeblich luxuriösen Fußbekleidung um Schuhe von Quelle für 40 Mark. Ein anderes Blatt baute das Ganze aus zu einer Radtour Funkes mit interessierten Journalisten durch die Innenstadt. Die Zeitungen hatten ihre Meldungen, die Leser ihre Aufregung und Funke das Nachsehen.

Als sein Buch „Mein Leben als Dagobert“ herauskam und Funke Lesungen gab, wurde ihm auch das zum Verhängnis. Obwohl er zur Wiedereingliederung geradezu verpflichtet ist, derlei Termine wahrzunehmen, sprach der Bund Deutscher Kriminalbeamter angesichts voller Säle von einem „Werteverfall in der Gesellschaft“. Anscheinend darf ein Gefangener nicht besser gestellt aus dem Knast herauskommen als er hineingekommen ist.

Ganz dicke kam es im Herbst vergangenen Jahres, als ein Foto veröffentlicht wurde, auf dem Funke zwischen BDI-Präsident Henkel und SPD-Spitzenkandidat Momper zu sehen war. Funke war der Einladung gefolgt, um soziale Kontakte zu knüpfen – auch Teil der Wiedereingliederung – und um Menschen in natura zu sehen, die er für die Satirezeitschrift Eulenspiegel karikiert. Der damalige Justizsenator sprach von einem „Schlag ins Gesicht aller ehrlichen Menschen in diesem Lande“. Was er nicht wusste: Funke war von einem Journalisten zwischen die honorigen Herren gedrängt worden.

Was auch immer Funke tut – es wird ihm zum Verhängnis. Als der Autor, der Dutzende von Anfragen ignoriert, einem Rundfunksender ein Kurzinterview gab, weil dieser Himmel und Hölle in Bewegung setzte und Anstaltsleitung und Justizverwaltung ihr Okay gaben, sah er sich mit einem seltsamen Vorwurf konfrontiert: „Sie geben ständig Interviews, lohnt sich Verbrechen?“ So überrascht es wenig, dass Funke sich mit dem Gedanken an ein zweites Buch trägt: Dabei soll es um das Thema Wahrnehmung gehen.B. Bollwahn de Paez Casanova