Nachruf auf den Fortschrittsglauben

Die Platte zur Flugfirma: Yoshinori Sunahara beschwört den „Sound of Pan Am“ der 70er

Mit der Artwork für seine letzte Platte hatte Yoshinori Sunahara die geringsten Probleme: war alles schon zu Hause. Denn der Elektronik-Frickler ist, wie er sagt, „besessen“ von der 1991 Pleite gegangenen Airline Pan Am und hortet zu Hause in Tokio schon seit Jahren Plakate, Flugtickets, Prospekte und sonstige Memorabilia, die er vorzugsweise übers Internet ersteigert. „Pan Am hat sich schon in den 60ern und 70ern viel mit Design- und Stilfragen beschäftigt“, erzählt Sunahara, „Pan Am war auch die erste Airline, die Reservierungen für Flüge zum Mond verkauft hat. Für mich hat Pan Am immer Stilbewusstsein und Visionen repräsentiert.“

Nun gibt es die Platte zur Airline. Sie beginnt mit einem typischen Flughafengong, der eine Ansage ankündigt. Dann folgt ein Schwall weicher Geigen, und prompt sind wir in einer heilen Welt, in der man 1. Klasse zum Frühstück bei Tiffany fliegt. Danach wird es zwar eindeutig elektronischer. Aber Sunahara hat nicht umsonst seine Plattenfirma bekniet, ihm für „Pan Am“ einen „Traum“ zu erfüllen – und ein 33-köpfiges Orchester zu finanzieren.

Fortschrittsglauben ist offensichtlich kein Wort, das sich so einfach ins Japanische übersetzen lässt. Sunahara hat Schwierigkeiten, die Frage zu verstehen. „In den 60ern musste man sein Instrument noch beherrschen, um qualitativ gute Musik machen zu können“, sagt er dann. „Heutzutage kann jeder, der sich ein bisschen mit Technik auskennt, eine Platte machen, die gut klingt.“ Er weiß wohl selbst nicht so recht, ob das ein Grund zur Freude oder des Bedauerns ist. Im Laufe seiner drei Soloplatten, die Sunahara als Trilogie versteht, sank der Anteil an gesampelten Sounds stetig bis zum Orchester für „Pan Am“.

Vor einiger Zeit hat er Denki Groove verlassen, weil er die Arbeit mit dem führenden japanischen Techno-Trio zeitlich nicht mehr mit seinen Solo-Aktivitäten vereinbaren konnte. Neuerdings, so sagt er, interessiert er sich auch fürs Filmemachen.

Für seine Platte „Take Off And Landing“, den Vorgänger von „Pan Am“, entwarf er den Tokyo Underground Airport (TUA). Die Idee: Ein unterirdischer Flughafen löst die Platzprobleme der japanischen Metropole. Ein Gedankenspielchen, das sich in Texten, Zeichnungen und Interviews manifestiert. Wovon die Futuristen einst nur träumten – dass ihre Kunst Schrittmacher für eine technische Entwicklung werden könnte –, gelang Sunahara scheinbar mühelos. Zumindest in Ansätzen. Zwar ging er niemals davon aus, dass das Konzept realisierbar sei. „Aber es war von mir so weit durchdacht“, erzählt er nicht ohne Stolz, „dass sich Projektgruppen an Universitäten damit ernsthaft auseinandergesetzt haben. Sogar Baufirmen haben mich angeschrieben, um mehr darüber zu erfahren.“ So produzierte das pophistorische Zitat tatsächlich neue Fortschrittsgläubigkeit.

Trotzdem: Sunaharas Musik ist keine zur Flughafenbeschallung, wie etwa Enos „Music for Airports“. Grundsätzlich geht es getragen und entspannt zu, winkt Burt Bacharach aus dem Cockpit, und es wird mit Easy-Listening-Versatzstücken gearbeitet. Aber seine Techno-Wurzeln mag Sunahara nicht leugnen, und selbst Jazz-Ambitionen scheinen durch.

Vor einigen Jahren wurde Sunahara zu einem Treffen von ehemaligen Pan-Am-Angestellten eingeladen, um dort eine kleine Rede zu halten. „Anfangs dachten die: Was ist denn das für ein junger Spund“, erzählt er. „Aber als dann klar wurde, dass ich aus tiefstem Herzen Pan-Am-Fan bin, fingen einige Leute an zu weinen.“ Ironie der Geschichte: Geflogen mit Pan Am ist der 30-jährige Sunahara selbst niemals. Tatsächlich ist es sogar so: „Ich fliege nicht sonderlich gerne, ich fühle mich nicht wohl in einem Flugzeug.“

Thomas Winkler Yoshinori Sunahara: „Pan Am: The Sound of 70s“ (Bungalow / EFA)