Kaffee für die Wähler

Jugoslawiens letzter Vorkriegspräsident Stipe Mesić könnte Kroatiens nächster Staatschef werden ■ Aus Split Erich Rathfelder

Eine sensationelle Entwicklung scheint sich bei den für den kommenden Sonntag angesetzten Präsidentschaftswahlen in Kroatien anzubahnen. Denn bei Umfragen liegt jetzt ein Kandidat vorne, mit dem noch vor wenigen Wochen niemand gerechnet hat. Stipe Mesić, ehemaliger Parteigänger und scharfer Kritiker des im Dezember gestorbenen Präsidenten Franjo Tudjman, kann nach neusten Umfragen mit rund 30 Prozent der Stimmen rechnen.

Mesić hat damit die wichtigsten Mitkonkurrenten weit hinter sich gelassen: den liberalen Kandidaten des neuen Regierungsbündnisses, Drazen Budisa, und den Vertreter der ehemaligen Regierungspartei HDZ, den bisherigen Außenminister und ursprünglichen Favoriten Mate Granić. Mesić hat damit gute Chancen, die 14 Tage später abgehaltene Stichwahl zu erreichen.

Aber selbst die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang erscheint nicht ausgeschlossen. Vor zehn Tagen noch von nur zwei Prozent der Wähler gestützt, begann Mesić seine Wahlkampagne in dem östlichen Landesteil Slawonien und kletterte nach wenigen Tagen auf 18 Prozent. Nach seinem Besuch in den Küstenregionen Dalmatiens liegt er schon bei 30 Prozent. „Wenn das so weitergeht“, sagt er selbstbewusst, „werde ich nach der Kampagne im Norden und in Zagreb die Wahlen im ersten Wahlgang gewinnen.“

Dabei fußt Mesić’ Wahlkampagne keineswegs auf einer Materialschlacht. Mesić sucht lediglich Bürgernähe und lädt die Menschen zu einem Kaffee am Hauptplatz der jeweiligen Städte ein. Bei seinem Besuch in Split am vergangen Samstag kamen Tausende, um ihn zu sehen. Der seit Jahren in den staatlichen Medien totgeschwiegene Mesić entpuppt sich als populäre Figur.

Stipe Mesić ist auch nicht irgendwer. Er war immerhin das letzte Mitglied Kroatiens im jugoslawischen Staatspräsidium vor dem Krieg 1991 und sogar Präsident des Präsidiums, was damals dem Amt eines jugoslawischen Staatspräsidenten entsprach. In dieser Funktion versuchte er im Sommer 1991, den Krieg in Kroatien abzuwenden, forderte jedoch eine vom serbischen Präsidenten Milošević blockierte Demokratisierung des jugoslawischen Gesamtstaates und schließlich die Unabhängigkeit Kroatiens.

In der Folgezeit war Mesić Mitglied der kroatischen Führungsriege um Tudjman, mit dem er sich 1993, nach dem Angriff kroatischer Truppen in Bosnien, überwarf. Mit dem Weggefährten Josip Manolić formte er eine eigene Partei, verließ diese Gruppierung jedoch, um sich 1995 der Kroatischen Volkspartei (HNS) anzuschließen. In der Folgezeit erwies er sich weiterhin als scharfer Kritiker des Systems Tudjman und polemisierte gegen die „Räuber der Nation“.

In Bosnien-Herzegowina, vor allem in Sarajevo, wurde Mesić eine populäre Figur, nachdem bekannt wurde, dass er dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag sein Wissen über den Ausbruch des Krieges zur Verfügung gestellt hatte. Seit 1993 kritisierte er immer wieder die Zusammenarbeit von Tudjman und Milošević bei der Aufteilung Bosnien-Herzegowinas.

Als führendes Mitglied der Volkspartei wirkte Mesić auf einen Zusammenschluss der Oppositionskräfte gegen Tudjman. Es gelang, vier kleinere Parteien – unter ihnen die Liberale Partei, die Bauernpartei und einige Regionalparteien – zur so genannten „Cetvorka“ zusammenzufassen, die aus den Parlamentswahlen am 3. Januar als zweitstärkstes Oppositionsbündnis hervorging. Mit dem noch stärkeren Bündnis aus Sozialdemokraten und den Sozialliberalen des Drazen Budisa wird die Cetvorka in der neuen Koalitionsregierung vertreten sein.

So tritt Mesić nun gegen den Kandidaten des größeren Koalitionspartners an – Drazen Budisa, der bei den letzten Präsidentschaftswahlen gegen Tudjman 1997 einen Achtungserfolg erzielen konnte. Er reagiert zunehmend nervös: Seine Umfragewerte sanken von 31 auf 24 Prozent.

Inhaltlich gibt es kaum Unterschiede. Beide wollen das Amt des Präsidenten entmachten und dem Parlament und der Regierung große Spielräume einräumen. Der bärtige und schlagfertige Mesić scheint aber mehr Charisma zu haben als der wie die Karikatur eines Buchhalters auftretende Budisa.

Mit 16 Prozent in den Umfragen scheint der bisherige Außenminister Mate Granić schon jetzt abgeschlagen zu sein. Der Katholik aus Dubrovnik, der die HDZ zu einer konservativ-christlichen Partei reformieren möchte, steht im Gegenwind und wird von seiner Partei kaum unterstützt. Hoffnungsträger sei er nur gewesen, solange die HDZ an der Macht war, erklären kroatische Kommentatoren. Er versprach, die schlimmsten Auswüchse der Herrschaft Tudjmans zu beseitigen. Diese Funktion sei nun überflüssig geworden.