Präsident Wahids indonesische Gratwanderung

Seit Wochen blühen Spekulationen über einen bevorstehenden Putsch der Armee. Der Staatschef hat wichtige Posten neu besetzt. Damit wächst die Wut in Kreisen des Militärs

Jakarta (taz) – Indonesiens Präsident Abdurrahman Wahid verwirrt Freund und Feind gleichermaßen: Nach drei anstrengenden Monaten in der Regierung wirkt der lange kränkelnde und fast blinde Politiker in diesen Tagen erstaunlich gekräftigt. Ende des Monats will er zwei Wochen lang Europa besuchen.

Dabei steht Wahid vor dramatischen Problemen: So drohen die schweren Unruhen zwischen Christen und Muslimen auf den Molukken auf andere Regionen überzuspringen, nachdem Anfang dieser Woche auch auf der Ferieninsel Lombok in der Nähe von Bali zehn Kirchen angegriffen wurden. In der nach Unabhängigkeit rufenden Randprovinz Aceh sterben täglich Dorfbewohner und Soldaten, während der Hass auf die Zentralregierung weiter wächst.

Vor allem aber: Seit Wochen schwirren Spekulationen über einen Machtkampf zwischen Wahid und Teilen der Armee durch die lokalen Medien. Nachdem sich bislang unantastbare Generäle vor dem Parlament und öffentlichen Kommissionen über Menschenrechtsverletzungen in Osttimor und anderen Teilen des Landes befragen lassen mussten, wächst die Wut im Militär. Putschgerüchte machten die Runde.

Wie ernst sie im Ausland genommen wurden, zeigte die scharfe Reaktion aus Washington. Der amerikanische UNO-Botschafter Richard Holbrooke richtete vor wenigen Tagen eine scharfe Warnung an das Militär. Die USA würden nicht zulassen, dass die demokratisch gewählte Regierung in Jakarta „unterminiert“ werde.

Präsident Wahid ging selbst vor die Presse und erklärte: „Ich glaube nicht an einen Putsch“, droht gleichzeitig aber jedem mit Konsequenzen, der versuche, seine Regierung zu stürzen. Fasziniert schauen die Indonesier zu, wie Wahid versucht, seinen schärfsten Gegner im Militär, General Wiranto, auszumanövrieren. Noch vor kurzem schien Ex-Armeechef Wiranto, der heute Minister für Politik und Sicherheitsfragen ist, einer der mächtigsten Männer in der Regierung zu sein. Doch in den letzten Tagen hat sich das Bild gewandelt: Der Präsident hat eine ganze Reihe wichtiger Positionen in der Armee neu besetzt. Plötzlich stehen nicht nur an der Spitze der Armee, sondern auch ihres Geheimdienstes und Informationsamtes Offiziere der Marine und der Luftwaffe. Wer, wie Wiranto, unter Ex-Diktator Suharto politische Karriere machen wollte, ging zum Heer. Es war das Heer, das die schmutzige Aufgabe der Unterdrückung Aufständischer übernahm – und dessen Offiziere dafür mit Posten und lukrativen Geschäften belohnt wurden.

Einer der wichtigsten Vertrauten Wirantos war der ehemalige Armeesprecher Sudrajat. Er musste gehen, nachdem er öffentlich erklärt hatte, dass Wahid nicht das Recht habe, sich in die inneren Angelegenheiten der Armee einzumischen – auch wenn er laut Verfassung oberster Befehlshaber sei.

Wahid weiß, dass er auf einem schmalen Grat geht: Denn trotz der personellen Veränderungen an der Spitze gibt es in der Armee noch viele Offiziere, die gegenüber Wiranto – und Suharto – loyal sind. Sie sind gefährlich, auch wenn sie, wie der Präsident glaubt, keinen Putsch planen. Nicht nur Bürgerrechtler, sondern auch reformorientierte Offiziere glauben, dass diese Armee-Hardliner sich mit radikalen Muslimen verbünden. Ihr Ziel: blutige Unruhen zu stiften, um den Weg in die Demokratie zu verhindern und die Regierung zu zwingen, das Militär um Hilfe zu bitten.

Das erklärt in den Augen vieler Indonesier auch die immer wieder aufflammenden Konflikte auf den Molukken und anderswo: „All die Gewalt, die derzeit in unserem Land ausbricht, ist Teil eines politischen Spiels, das von der politischen Elite in der Zentralregierung gespielt wird“, sagte etwa Generalmajor Agus Wirahadikusumah am Wochenende. „Ob wir es wollen oder nicht, wir werden zu Provokateuren gemacht, die unsere nationale Einheit zerstören.“Jutta Lietsch