Mit der Toxikologie auf Du und Du
: Bedrängte Institute

Berlin (taz) – Für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist die Sache klar: „Die Toxikologie ist für die moderne Industriegesellschaft unverzichtbar geworden, weil sie die Grundlage für eine sachliche Diskussion über die Gesundheitsgefahren von Chemikalien schafft.“ Im krassen Gegensatz zu dieser von der DFG in ihrer Denkschrift „Toxikologie“ vertretenen Einschätzung wird das Fach an den deutschen Universitäten massiv zurückgestuft. Allein in den letzten zehn Jahren halbierte sich die Anzahl der Universitätsinstitute von 20 auf 10. Damit scheint die Toxikologie hierzulande langsam, aber sicher als eigenständiges Fach aus dem Wissenschaftsbetrieb zu verschwinden. Eine Entwicklung, die durch die Emeritierung von acht Institutsleitern in den nächsten fünf Jahren nur beschleunigt werden dürfte.

Aktuelles Beispiel ist das Institut für Toxikologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Der dort seit 1975 amtierende und weit über universitäre Kreise hinaus bekannte Professor Otmar Wassermann wird dieses Jahr emeritiert. Dass er einen Nachfolger bekommen wird, ist sicher, dass dieser ebenfalls einen C4-Lehrstuhl (höchste Kategorie) erhalten wird jedoch mehr als fraglich. Denn die Strukturkommission der dortigen Medizinischen Fakultät ist der Ansicht, dass für die Wassermann-Nachfolge eine geringer dotierte und schlechter ausgestattete C3-Stelle vollkommen ausreichend sei und diese zudem den beiden C4-Lehrstühlen für Pharmakologie und Hygiene untergeordnet werden sollte. Für Wassermann ein Unding, da der Einfluss der Toxikologie damit gegen null tendierte und eine eigenständige Weiterentwicklung mangels Ressourcen unmöglich würde. „Eine qualifizierte Nachfolge scheint für das Fach Toxikologie nicht erwünscht zu sein“, so sein Fazit.

Der Toxikologie droht somit ein ähnliches Schicksal wie der Strahlenbiologie in den Fünfzigerjahren. Der Atomwirtschaft ist es damals gelungen, die Lehrstühle sukzessive mit Professoren zu besetzen, die der Kerntechnologie unkritisch gegenüber stehen, so Wassermann gegenüber der taz. Im selben Stil versuchten chemische und pharmazeutische Unternehmen schon seit Jahren, den Einfluss der Toxikologie zurückzudrängen. Wenn die Toxikologie in Kiel nun ihre Eigenständigkeit verlöre, sei eine kritische Wissenschaft dort nicht mehr möglich, die Auflösung des bisherigen Instituts und die künftige Industrieabhängigkeit des Restes vorprogrammiert.

Martin Ling