Ein Saubermann mit Flecken auf der Weste

Der frühere Bundesinnenminister Manfred Kanther ist wieder Privatmann. Der Scharfmacher der CDU stolperte über die eigenen Primärtugenden. Er selbst sieht sich als Opfer einer Treibjagd

Seit gestern ermittelt die Wiesbadener Staatsanwalt in der hessischen CDU-Spendenaffäre auch gegen den ehemaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther. Bereits am Montagabend hatte Kanther mitgeteilt, dass er sein Bundestagsmandat niederlegen werde. Damit ist der Scharfmacher der Partei über die eigenen Primärtugenden gestolpert. Und es ist eine Bastion gefallen, die der CDU jahrzehntelang den rechten Rand gestärkt hatte.

Law and order, scharfe Strafen bei geringsten Regelbrüchen, dafür stand der Jurist Kanther schon in den Sechzigerjahren. Inzwischen sind drei Anzeigen gegen ihn erstattet worden. Zwei stammen von den Grünen und einer bisher unbekannten Privatperson, die dritte ausgerechnet von Rolf Schlierer, dem Bundesvorstand der „Republikaner“.

Das hat den Hardliner hart getroffen. Härter traf der Schock seine Parteifreunde und Wähler. Was die Empörung über Kanthers Spendenlüge vor allem in Hessen erheblich vergrößerte, war vor allem das Image des immer tadellos aus dem Ei gepellt auftretenden Kanther mit dem scharfgezogenen Scheitel und den blütenweißen Hemden. Auch äußerlich schien er makellos, ein Saubermann ohne Stäubchen und Flecken. Dazu kamen sein militärisch zackiges Auftreten und seine martialischen Geißelungen gesellschaftlicher Missstände, gegen die er immer wieder drakonische Maßnahmen verordnete.

Kanther, der gerne auf Vertriebenentreffen redet, ist 1939 in Schlesien geboren. Als 18-Jähriger flüchtete er aus der DDR und studierte in Marburg und Bonn. Seit 1970 war er Landesgeschäftsführer der hessischen CDU, für die er 1974 in den Landtag gewählt wurde. Als Generalsekretär seiner Partei führte er sein Amt von 1980 an mit strenger Hand – mehr General als Sekretär, wie es heißt.

Unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann wurde er Finanzminister und setzte sich vehement für einen rigorosen Sparkurs ein. Nach dem Rückzug des glücklosen Wallmann aus der Politik wurde Kanther 1991 neuer Landesvorsitzender. Am 12. Juli 1993 wurde er als Bundesinnenminister vereidigt. In Bonn schnürte er, ohne Zeit zu verlieren, das Sicherheitspaket 94, das die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten vergrößerte.

Ein Jahr später legte er ein Papier zum großen Lauschangriff vor. Er attackierte Vorschläge zur doppelten Staatsbürgerschaft und zum Einwanderungsgesetz und setzte sich für eine verschärfte Abschiebungspraxis ein. 1997 führte er per Sofortverordnung die Visumpflicht für Kinder mit Eltern ausländischer Herkunft ein. Eine seiner letzten Amtshandlungen war der Aufbau einer DNA-Analyse-Datei.

Sein vorerst letzter öffentlicher Auftritt war sein Geständnis in der Hofheimer Stadthalle am vergangenen Freitag. Er habe, sagte er da, „nur dienen“ wollen. Zum Rücktritt ließ er am Montag abend – seinerseits anklagend – wissen, er wolle „die Treibjagd“ gegen ihn beenden. Für Journalisten ist er nicht mehr zu sprechen. Die Bürgersprechstunde in seinem Wahlkreis und die 30-Jahr-Feier der CDU Nidderau am Montagabend sagte er ab.

Regierungschef Roland Koch hatte sich nach Rücktrittsforderungen auch aus den eigenen Reihen in zahlreichen Interviews immer schmallippiger von seinem ehemaligen politischen Ziehvater abgesetzt. Jemand, der wie Kanther das Vertrauen gebrochen habe, rang er sich am Abend durch zu sagen, „kann nicht mehr für die CDU sprechen“. Heide Platen