Der Banale

■ Nach „Rezession, Baby“ sagt Bernd Begemann in der Schanzenküche „Hallo“ zur Hölle

Der Begemann. Denkt der eigentlich, dass jeder in dieser Stadt schon eine feste Meinung von ihm hat? Oder warum stellt er an den Anfang seiner neuen Platte Sag Hallo zur Hölle ein derartiges Lied? Ein Lied, das alle bestätigt, die ihn mögen, das alle bestätigt, die ihn, womöglich hassen. Ein Lied, das aber auch ein ganz großes Ablenkungsmanöver ist: „Kelly Family Feeling“ heißt es, ohne Bindestriche geschrieben, also ein bisschen falsch – das könnte fast ins Konzept passen von Begemann. Denn wie Rezession, Baby, sein erstes Soloalbum von 1993, hat Bernd Begemann diese Platte wieder in seiner Küche eingespielt. Diesmal nicht in Rothenburgsort, sondern im Schanzenviertel. Der Entstehungsort ist also ein bisschen gewöhnlicher geworden, die Idee dahinter ein bißchen abgenutzter: Wie damals steht die Küche für die Einfachheit der Mittel. Aufgenommen wurde mit einem „Kasettenrecorder“ – auch den schreibt Begemann nicht ganz richtig, und der Hörer vermutet: Es regiert wieder die Unvollkommenheit, nicht die glatte, doofe Oberfläche, die Begemanns Comebackversuch mit seiner alten Band Die Antwort im vorletzten Jahr so verdorben hatte.

„Kelly Family Feeling“ also. Der Songtitel, der Songtext sind nicht die besten Einfälle, die Begemann je hatte, denn wer will, fast fünf Jahre nachdem die Familie zum Medienthema hochgejubelt wurde, noch Scherze und Allegorien dazu hören? Begemanns Fans wird das trotzdem gefallen, seine Gegner werden lächzen, wie immer also. Dann kommt dieser Bruch: Sophie Rois singt mit in diesem Lied. Eine singende Schauspielerin! Singende Schauspielerinnen sind in Deutschland schon lange das Elend schlechthin, zuviel Kunstwunsch, zuviel Pseudo-Verruchtheit. Ein geschickter Schachzug von Begemann: Er wiegt Freunde und Feinde in Sicherheit – und eröffnet dann eine ganz neue Flanke. Wer hätte Begemann für einen Strategen gehalten? Den Mann, der sich nach einigen Getränken schon in fast jeder Bar um Kopf und Kragen geredet hat. Trotzdem, erstmal: Respekt. Wie geht die Platte weiter?

Begemann verwirrt nochmal: „Prozedur“ heißt das zweite Stück, es ist ein ganz ungeheuerlicher Abklatsch, ein Abklatsch ausgerechnet von einem der bekanntesten Stücke von Blumfeld; „Lass uns nicht von Sex reden“. Vor Jahren, als es noch einen Wettstreit zwischen Künstlern der sogenannten Hamburger Schule gab, sang Begemann einmal an deren Sänger Jochen Distelmeyer gewandt: „Jochen sieh es doch mal so: Du bist Godard und ich Truffaut“. Damit wollte er wohl sagen, er, Begemann, bevorzuge im Gegensatz zu Distelmeyer, die klar erzählten Geschichten. Womöglich ist Distelmeyer seit Old Nobody selbst Truffaut. Aber welcher Platz bleibt dann für Bernd Begemann? „Prozedur“ jedenfalls hat das Niveau der Vorabendserie „Verbotene Liebe“.

Spätestens mit dem vierten Stück „Eine Audienz bei seiner Majestät dem Metzger“, hat Bernd Begemann das alte Begemann-Fahrwasser erreicht. Er singt zu Liedermacherpop über Alltagsgeschichten, über Privatgeschichten. Über die Nacht vor der Abtreibung, über die Köhllbrandbrücke, und immer wieder über das Schanzenviertel. Manchmal spricht er Wahres aus, so in die „Die witzige WG“, wenngleich das Lied musikalisch eine Zumutung ist. Manchmal verheddert er sich gehörig in der Kleinkunst: „Fahrradkurier Blues“ zum Beispiel hätte Begemann sich besser gespart. Wie man hört, hat Bernd Begemann durch seine Songschreiber-Arbeit für die sehr erfolgreichen Flensburger Teeniepopper Echt weniger Geldsorgen als bisher. Ob er sich so vor den Aufnahmen zu seiner nächsten Platte eine Besinnungspause erlauben könnte? Sonst wird aus diesem Reporter des Banalen bald vollends ein banaler Reporter. Sebastian Hammelehle

Fr, 21. Januar, 20 Uhr, Grosse Freiheit