Kaltes Würgen

■ Mal mild, mal wild: Michael Altmann in der Thalia-Mini-Oper „Winterreise“

Anfangs möchte man meinen, einer der ergrauten, struwweligen Berber vom Gerhart-Hauptmann-Platz nebenan habe seinen Weg direkt auf die Bühne des Thalia Theaters gefunden. Starr stierend, lugt Michael Altmann unter einer ollen Filzdecke hervor. Vom Band aus der Ferne erklingend, bohrt der Gesang „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“ mehrfach in ihn hinein. Bis er aufspringt und antwortet. Zerrissenes quillt aus ihm hervor, zerhackter Sprechgesang, fern jeden Heldentenors. Klavier-, Synthesizer-, Bandoneon-, Cello- und Saxophon-Spieler begleiten ihn durch seine Mini-Oper, wie der Untertitel dieser „Winterreise“ nach Franz Schubert und Wilhelm Müller lautet. Der Alte da vorn, so ist's aus seiner mal wilden, mal milden Aufbereitung des schwer romantisch befrachteten Liedguts zu spüren, würgt an seiner Geschichte. Der Liebsten Bild zerknüllt er, bevor er es später den Musikern und dem fast intimen Kreis von Zuschauern unter die Nase hält. Er kann sie nicht vergessen, kann nicht anders, als sie suchen. Alles um ihn und in ihm ist dem Erfrieren nah. Gegen Todessehnsucht hilft auch kein Bier aus dem Köfferchen.

Schnell stellt sich das Gefühl ein, nur so sei Schubert heute noch anrührend zu singen. Was alles fehle nicht den sonst üblichen, hoch artifiziellen Stimmen an moderner Stimmung. Auch die szenische Umsetzung durch Gabriele Jakobi tut den Versen gut (wobei die Musiker in Spielaktionen meist störend ungelenk sind). Doch so wie Altmann immer wieder aus sanften Klängen und süßen Träumen aufschreckt, schier aufschreit vor Gram und Weltschmerz, so wacht der Zuschauer langsam auch auf, wenngleich ohne Schrei: Der einspinnende Bilderreigen und die spannend schräg gebürsteten Instrumentalisierung bannen immer weniger. Die Geschichte zwischen spärlichen Baumstümpfen in weiß markiertem Geviert zerfleddert, Altmanns Aktionen gerinnen zunehmend zu Attitüden, die ruppigen Lieder verlieren an Charme, Gesten verunglücken, Verse bleiben ihm in der Kehle ste-cken. Ist das Programm in sieben Jahren Laufzeit verschlissen? Oder war Altmann, dessen zitternde Hände manchen Dienst verweigerten, nur schlicht kaum Herr seiner selbst? Oliver Törner

noch 20. und 27. Januar, 21 Uhr, Thalia Theater