Hemmungslose Propaganda

Zeit voller Zeichen und Wunder: Eine Ausstellung mit Stichen, Drucken und Büchern in der Kunsthalle widmet sich den Weissagungen und Weltuntergangsängsten um 1500  ■ Von Hajo Schiff

Auch die letzten, die es sich leis-ten konnten, nach Westen und in den Süden zu fliehen, sind inzwischen zurückgekehrt. Und was vor gut zwei Wochen so Schreckliches drohte, ist bereits fast ganz vergessen: Die Menschheit hat wieder einmal dreist den Weltuntergang überlebt. Doch die Propheten des diesmal angeblich durch die Technik selbstgemachten Desasters haben Multimilliarden verdient. Und wie es mit solch religiösen Dingen nun einmal ist: Nie wird herauszukriegen sein, ob all die Mühe notwendig war.

Es ist schon so viel über die seltsame Endzeiterwartung zum 1. Januar 2000 gesagt worden, dass es fast peinlich ist, nochmals auf historische Parallelen hinzuweisen. Doch was die Hamburger Kunsthalle in nur einem Raum an Stichen, Drucken und Büchern zur Wunderzeichenauslegung vor 500 Jahren versammelt hat, ist es wirklich wert. Zeiten voller Zeichen zeigen sich da, Wunder werden offenbar in ohnedies wirren Weltläufen. Kulturgeschichtlich ist es die Renaissance, die Zeitgenossen aber erleben vor allem Kriege und Seuchen. Und die noch recht neuen Druckerpressen verbreiten auflagenstark in Text und Zeichnung wichtigtuerisch Seltsamkeiten, gerade so wie heute die Bild-Zeitung. Da wird es eine Hungersnot geben, weil ein Schwein mit acht Beinen geboren wurde, und da müssen Fürsten Kriege verlieren, weil man einen Blutregen sichtete; mit Meteoren gibt Gott dem Kaiser ein Himmelszeichen, Planeten- konstellationen warnen vor Überschwemmungen, und Überschwemmungen wiederum sind ein Vorgeschmack der nahenden Sintflut. Selbst der große Dürer verdiente 1498 blendend mit seinen feinen Holzschnitt-Blättern zur Apokalypse.

Nicht ein spezieller Termin wurde allerdings gefürchtet, vielmehr ständig dräute die finale Katastrophe. Geografische und wissenschaftliche Entde-ckungen weiteten zwar den Blick, Glaubensreformen und neue Philosophien boten neue Freiheiten, doch der Verlust alter Gewissheiten ängstigte zutiefst. Der Papst erscheint nun mindestens als ein siebenköpfiger Drache aus der Apokalypse des Johannes und Martin Luther je nach Standpunkt als der lange erwartete Heilsprophet oder als der das Weltenende durch sein Erscheinen ankündigende Antichrist: Eine hemmungslose Propaganda verbreiten solche Blätter im Vorfeld der Reformation. In seinem Narrenschiff von 1494 dichtet Sebastian Brant voll zeitloser Weisheit: „Viel Praktik und Weissagekunst/ Verbreitet jetzt der Drucker Gunst/ Die drucken alles was man bringt/ Und was man schädlich sagt und singt/ Da schaut nun niemand strafend drein/ Die Welt, die will betrogen sein!“

Da die Flugblätter dieser Zeit Massenware waren, muss die in endlosen Predigten erworbene Fähigkeit zur sinnstiftenden Auslegung von Worten und Ereignissen unglaublich allgemein gewesen sein. Auch das ikonologische Wissen, das angesichts der oft hochkomplexen Bildkompositionen notwendig war, ist erstaunlich viel umfangreicher als heute gewesen. Und alles in diesem Bezugssystem ist immer mehrfach lesbar: Beispielsweise kann die Zweileibigkeit zum Symbol gleichermaßen der drohenden Teilung wie der glücklichen Einigung werden. Vielleicht ist es also gar nicht so abwegig, das Flugblatt von 1512 mit Elsbeth und Elisabethen, den „Zwillingen von Ertingen“ mit zwei Köpfen, vier Händen und nur einem Leib, als ein schönes Bildzeichen für die Dialektik zu lesen.

Der Mann übrigens, der den Bauernkrieg von 1525 vier Jahre vorher zutreffend prophezeit hatte, Johannes Carion, hat erst für 2000 den Weltuntergang verkündet. Aber das Jahr ist ja auch noch nicht um.

„Zeichen und Wunder – Weissagungen um 1500“, Saal der Meis-terzeichnung, Kunsthalle, noch bis 20. Februar, Katalog 16 Mark