Strenger als andere Leute

■ taz-Serie „Neu in Berlin“ (14): Für Jitzhak Ehrenberg, den orthodoxen Rabbiner der Jüdischen Gemeinde, ist es schwer, in Berlin ein orthodoxes Leben zu führen. Mit den Liberalen hat er Probleme

Rabbiner Jitzhak Ehrenberg, 49 Jahre alt, ist seit über zwei Jahren der orthodoxe Rabbiner der Jüdischen Gemeinde.

Wir sind vor etwas mehr als zwei Jahren von München nach Berlin umgezogen. Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen. Wir haben bereits mehrere Umzüge hinter uns. Von Israel nach Wien, von Wien nach München, schließlich nach Berlin. So, wie diese Wohnung eingerichtet ist, der moderne lichte Stil, das trägt die Handschrift meiner Frau. Es gibt im Talmud ein Sprichwort, eine schöne Frau, eine schöne Wohnung bereichern den Menschen genauso wie schönes Geschirr. Ich habe Gott sei Dank eine warmherzige, kluge und schöne Frau, eine schöne Wohnung und eine engagierte Gemeinde. (lacht)

Die Wohnung ist auch Ausdruck einer Person. Wenn man zum Rabbiner geht, denkt man darüber nach, wie dessen Wohnung wohl aussieht. Alle stellen sich eine dunkle Wohnung vor, voll gestellt mit alten Möbeln und Büchern. Sehen Sie, Orthodoxie schließt Modernität nicht aus. Wir arbeiten in meinem Büro auch mit Computern, und ich besitze ein Handy. Am Sabbat, von Freitagabend bis Samstagabend, dürfen wir Juden nicht arbeiten. Deshalb dürfen wir auch den Strom nicht ein- und abschalten. Dafür gibt es Schaltzeituhren, und die werden vorab programmiert. Ein weiteres Beispiel: Ich besitze eine CD, wo Talmud, Thora und Bibel drauf gespeichert sind. Wenn ich etwas wissen will, gebe ich nur ein Stichwort in den Computer ein. Das steht alles nicht im Widerspruch zu den Regeln in der Thora.

Aber natürlich halten wir Orthodoxen auch äußerlich an Regeln fest. Eine einheitliche Kleidung innerhalb einer Gruppe gibt dem Menschen Stärke. Schauen Sie auf meine Bekleidung. Es hilft, nach den Richtlinien der Gruppe zu leben. Von mir wird die Aufmachung erwartet. Gerade der orthodoxe Rabbiner soll anders und strenger sein als andere Leute. Ich erzähle ihnen eine kleine Geschichte: Der Vater eines kleinen Jungen ging an den Feiertagen stets zum Rabbi. Immer wenn der Vater zurückkam, sprach der voller Ehrfurcht vom Rabbi: Oh, der Rabbi, der ist heilig. Eines Tages durfte er auch mit zum Rabbi, dem „Engelsgleichen“. Beim Rabbi angekommen, sieht er, wie der Rabbi am Tisch sitzt und isst. Der Junge sieht den Rabbi. Schau Papa, der Rabbi isst!, ruft er entsetzt. Und in dem Moment war die heilige Aura um den Rabbi für den Jungen erloschen. Denn der Rabbi benahm sich wie jeder andere Mensch auch. Menschen werden von Äußerlichkeiten beeinflusst.

Genug zu den Äußerlichkeiten. Für mich zählen die Gesetze. Die Gebote und Verbote in der Thora sind nur ein Mittel, um aus den Menschen bessere Menschen zu machen. Die Frauen im Judentum zum Beispiel sind seit Urzeiten hoch und würdig behandelt worden. Die Frau war immer das Oberhaupt des Hauses. Sie hat die wichtige Aufgabe der Kindererziehung inne. Natürlich hat sich die Gleichberechtigung auch in orthodoxen Familien ausgewirkt. In Deutschland gibt es bereits eine Rabbinerin. Ich akzeptiere keine Rabbinerin. Außerdem finde ich es lächerlich, wenn die Rabbinerin ein Käppchen trägt – die Kopfbedeckung der Männer. Warum wollen Frauen Rabbiner werden? Ich bin tolerant, aber wenn es darum geht, die Grundsätze der Religion zu verändern, bin ich absolut dagegen. Auch die Auffassungen des liberalen Rabbiners in Berlin teile ich nicht. Man kann ihn nicht nur als Liberalen bezeichnen; er versteht sich sogar als Reformer. Aber trotzdem haben wir guten Kontakt.

Leider ist es so, dass die Leute, die zu mir kommen, nicht so streng orthodox sind. Meine Frau und ich versuchen ihnen aber die Orthodoxie zu vermitteln. Als verheiratete Frau darf sie nicht ohne Kopfbedeckung oder Perücke gehen.

Wir sind schon in der siebten Generation in Israel ansässig. Nur Großvater Ehrenberg, der auf dem Bild ist, kam aus Warschau. Aber auch er ist schon zu Beginn des Jahrhunderts mit drei Jahren nach Israel eingewandert. Ich habe ihn sehr geliebt. Ich bin sehr religiös aufgewachsen und stark durch meinen Lehrer, meinen Rabbi geprägt. Hinzu kommt: Als ich zwanzig Jahre alt war, hat er mich gefragt, ob ich seine Tochter heiraten möchte. Wir führen nun seit fast dreißig Jahren eine sehr gute Ehe. Wir haben drei Söhne und zwei Töchter. Alle leben in Israel. Später, nach der Heirat, habe ich noch eine Rabbinerschule besucht. Anschließend habe ich zusammen mit meinem Schwiegervater eine Schule geleitet.

Ich bin sehr froh, dass wir nach Berlin gezogen sind. Die Gemeinde ist lebendig. Ich liebe die Leute, die Menschen hier. Es gibt in der Gemeinde viele Aktivitäten. Allerdings gibt es noch kein richtiges jüdisches Leben. Meine Frau und ich geben all unsere Kraft, damit wir in dieser Hinsicht etwas bewegen können. Am Freitagabend zum Sabbat laden wir immer eine Familie ein und feiern zusammen. In Berlin ist es nicht leicht, orthodox zu leben. Es gibt nur wenige Geschäfte, die koschere Lebensmittel anbieten. Das war vor dem Krieg anders.

Der größte Teil der Jüdischen Gemeinde ist heute russisch. Sie waren zwei bis drei Generationen vom Judentum abgetrennt. Aber sie wollen es wieder erlernen. In meiner Synagoge kommen am Sabbat 150 Leute. Insgesamt gibt es rund 12.000 jüdische Gemeindemitglieder in Berlin. Die gesamte Gemeinde aber zählt keine 100 orthodoxen Juden. Die russischen Juden haben natürlich auch Sprachprobleme, da sie den Gottesdienst, der in Hebräisch gehalten wird, nicht verstehen. Jetzt liegt die Thora auf Russisch aus. Man muss wissen: Die russischen Juden werden auch in Zukunft überwiegen.

Der Einfluss des jüdischen Bürgertums in die deutsche Gesellschaft wie sie vor dem Krieg bestand, gibt es nicht mehr. Damals haben sie gesagt, sie sind deutsche Bürger jüdischen Glaubens. Nach dem Holocaust geht das nicht mehr. Ignatz Bubis, der verstorbene Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, hat das gesagt und hat versucht, nach diesem Motto zu leben. Aber dann hat er sich letztlich doch in Israel begraben lassen. Wenn sich das Leben zwischen Nichtjuden und Juden in Deutschland weiter gut entwickelt, wird es noch ein bis zwei Generationen dauern, bis wieder Normalität eingetreten sein wird. Der Rechtsextremismus jedenfalls wird keine Zukunft haben. Die Welt wächst immer mehr zusammen, die Menschheit vermischt sich. Alles bekommt einen internationalen Charakter.

Alte Juden haben einen Komplex, was nicht unbedingt mit der Geschichte Deutschlands zusammenhängt. Sondern damit, dass die Juden seit über 2.000 Jahren von den Nichtjuden unterdrückt wurden. Da ist es schwer, nach außen zu zeigen: Ich bin Jude. Und deswegen finde ich es wunderbar, dass es hier in Berlin ein jüdisches Straßenfest gibt. Dort können die Juden ganz frei singen, tanzen und essen. Das ist Berlin. Hier herrscht Freiheit. Zugehört hat

Annette Rollmann