Filmstarts à la carte
: Authentizitätssüchtig

Als Billy Wilder 1945 seinen Film „The Lost Weekend“ in die Kinos brachte, erntete er überall nur Lob. Die Studie zweier Tage im Leben eines alkoholkranken Schriftstellers bekam sogar vier Oscars: als bester Film, für die beste Regie, das beste Drehbuch und den besten Hauptdarsteller (Ray Milland). Denn für die Zeitgenossen waren sowohl die Form als auch der Inhalt des Films eine Überraschung: Einen suchtkranken Menschen zum Helden eines Kinodramas zu machen, war in jenen Tagen noch durchaus unüblich, und schon gleich gar nicht drehte man in Amerika Filme an Originalschauplätzen (Western einmal ausgenommen). Doch Wilder hatte zum Teil „on location“ in New York gefilmt: In einer langen, höchst dramatischen Sequenz begleitet die versteckte Kamera von John F. Seitz den bereits unter Entziehungserscheinungen leidenden Schriftsteller, der seine Schreibmaschine versetzen will, auf seinem erfolglosen Weg von einer Pfandleihe zur nächsten, die jedoch aufgrund eines Feiertages alle geschlossen sind. Da die Straßen für die Dreharbeiten nicht abgesperrt waren, brachten die „Location shootings“ auch Probleme mit sich: Wie sich Wilder später erinnerte, sei es sehr schwer gewesen, die Szenen rechtzeitig abzudrehen, ehe die Passanten Milland erkannten. Heute erscheinen uns die damaligen Neuerungen als ganz selbstverständlich, und Wilders Verdienste um die Komödie überlagern seinen Ruf als Regisseur ernster dramatischer Stoffe so vollständig, dass „The Lost Weekend“ fast ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Doch mit seinem ersten Schritt auf die Straßen New Yorks leitete Wilder - im Hinblick auf gesteigerte Authentizität - tatsächlich eine neue Ära im amerikanischen Kino ein.

„Das verlorene Wochenende“ 20.1., 22.1. im Filmmuseum Potsdam

Ein Film voller Großaufnahmen: Hände, Werkzeuge, Gesichter. Robert Bressons „Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen“ (1956) ist die mit großer formaler Strenge gefilmte sorgfältige Rekonstruktion der Flucht eines Widerstandskämpfers aus einem Nazigefängnis in Lyon. Konsequent verzichtet Bresson auf Action und jedes äußere Drama. Statt dessen sieht man die Routine des Gefängnisalltags, das Bohren und Schaben mit dem Löffel durch die hölzerne Türfüllung, das penible Knüpfen von Seilen aus Kleidungsstücken und Decken. Spannung erzeugt da allenfalls die Frage, ob der Gefangene, nachdem man ihm sein Todesurteil verkündet hat, wieder in die gleiche - zum Ausbruch vorbereitete - Zelle zurückgebracht wird, und ob ein plötzlich auftauchender Zellengenosse nicht vielleicht auch ein Spitzel sein könnte. Wenn der Gefangene bei seiner Flucht schließlich einen Wachtposten ausschalten muss, bleibt die Kamera im entscheidenden Moment ganz beim Ausbrecher. Die klassische Totale, die eine Raumorientierung ermöglichen würde, fehlt hier völlig: Den näherkommenden Posten kann man nur hören, und auch die Tötung selbst sieht man nicht. Erst das Ergebnis kommt dann - beiläufig - wieder ins Bild: eine makellose Effizienz des Erzählens.

„Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen“ 23.1 . im Filmkunsthaus Babylon

Die Dreharbeiten in Afrika müssen eine ziemliche Katastrophe gewesen sein: Die Hälfte der Crew war an Malaria oder Ruhr erkrankt, Humphrey Bogart soff wie ein Loch, und über John Hustons Attitüde als „Großwildjäger“ hat sich der Drehbuchautor Peter Viertel in seinem Schlüsselroman „White Hunter, Black Heart“ wenig schmeichelhaft ausgelassen. Und doch führten Huston, Bogart und die dickköpfige Katharine Hepburn „The African Queen“ zu einem schönen Ergebnis: Die amüsante Geschichte um die Versenkung eines deutschen Kolonial- Kriegsschiffes in Afrika durch das ungleiche Pärchen ist bis heute einer der beliebtesten Abenteuerfilme geblieben.

„African Queen“ 20.1.-26.1. in der Camera im Tacheles

Lars Penning