Energetisch am Netz

Angelika Erdmann spielt erfolgreich Rollstuhl-Badminton und anderen Behinderten sowie störrischen Verbänden den Ball zu ■ Von Markus Geling

Die Pausen zwischen den Ballwechseln sind Angelika Erdmann immer zu lang. Sie kommentiert beim Training in der Dorstener Sporthalle jeden Punkt. Nach guten Schlägen lacht sie herzhaft auf, fast schon ein bisschen dreckig – aber auf jeden Fall ehrlich. Nach Fehlern lacht sie auch, nur leiser, und sie flucht dazu. So wie jetzt. „Verdammte Hacke!“, schimpft sie, wiederholt ungeduldig die missglückte Schlagbewegung – und ruft nebenbei dem Sportwart der Dorstener Badmintonspieler ein paar Infos zum nächsten Ranglistenturnier zu. Dann ist auch ihre Mitspielerin bereit für den nächsten Ballwechsel.

Angelika Erdmann ist deutsche Meisterin im Rollstuhl-Badminton. „Diesen Titel setze ich in der Öffentlichkeit bedingungslos ein“, sagt die 41-Jährige. Zum Beispiel dafür, dass es ihr bei ihrem Heimatklub BVH Dorsten gelingt, eine Abteilung für Rollstuhl-Badminton aufzubauen. Und dafür, dass dieser Sport bei den Paralympics zugelassen wird, was wohl noch einige Zeit dauern wird. „Es hakt beim Deutschen Rollstuhl-Sportverband“, meint sie. „Der setzt sich nicht ein. Der Verband ist zu feige, es mit Badminton zu versuchen.“ Das mache sie „wahnsinnig“.

Rollstuhl-Badminton ist eine sehr junge Sportart. Die Wurzeln liegen in Holland. Seit 1993 wird es auch in Deutschland gespielt. Hierzulande gibt es etwa 130 Aktive, darunter nur vier Frauen. Insofern hat Angelika Erdmann gute Chancen, ihren Titel im April in Göppingen zu verteidigen. Für die Titelkämpfe qualifizieren sich die Sportler bei vier Turnieren. Hier spielt die Dorstenerin auch gegen Männer, nicht ohne Chancen. Nur gegen Recep Öztürk „werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr gewinnen“. Der Deutsche Meister verkörpert in Deutschland Extra-Klasse.

Die Rollstuhlfahrer spielen Badminton nach anderen Regeln als die „Fußgänger“ oder „Läufer“, wie Angelika Erdmann die nichtbehinderten Sportler nennt. Es wird nur auf einer Hälfte des Feldes gespielt, landet der Ball in der Zone zwischen dem 1, 40 Meter hohen Netz und der vorderen Aufschlaglinie, ist er „aus“. Die Sportler müssen bei ihren Schlägen mit dem Po fest im Stuhl sitzen, um abrupte Manöver fahren zu können. Zur Ausrüstung gehören neben Schläger und einem standfesten Sport-Rollstuhl auch Handschuhe, damit „man sich an den Reifen keine blutigen Finger holt“. Vor ihrem neuen Rollstuhl hat Erdmann „manchmal sogar Angst. Der ist so wahnsinnig schnell.“

Derartiges Zaudern passt gar nicht zu der Mutter zweier Töchter. Seit sechs Jahren spielt sie Badminton. Vorher war sie Schwimmerin. Eine durchaus ehrgeizige, betont sie: „Ich bin nicht nur gepaddelt.“ Die vorsichtige Frage nach der Art ihrer Behinderung beantwortet Angelika Erdmann mit dem mittlerweile schon gewohnten Lachen und einem flotten: „Gute Frage, nächste Frage.“ Sie habe aber keine Probleme damit, darüber zu reden: „Es ist ein Contergan-Schaden, der jedoch aus Mangel an Beweisen nicht anerkannt wurde.“

Diese Entscheidung dürfte ihr finanzielle Nachteile eingebracht haben. Sie macht aber nicht den Eindruck, als ob sie das belasten würde. Wahrscheinlich fällt es ihr wegen ihres unbändigen Elans schwer, Behinderte zu verstehen, die keinen Sport treiben. Seit einigen Monaten versucht sie, in Dorsten eine Abteilung für Rollstuhl-Badminton aufzubauen. Bislang umfasst diese jedoch erst drei Mitglieder – und eines davon ist sie selbst. „Ich begreife nicht, warum niemand kommt“, sagt sie verzweifelt. „Vielleicht muss ich bei jedem Rollstuhlfahrer persönlich an die Haustür klopfen. Aber ich weiß ja nicht, wo die wohnen.“

Sie kennt natürlich deren Schwierigkeiten. Für einen Rollstuhlfahrer ist der Besuch des Trainings mit großem logistischem und finanziellem Aufwand verbunden. Das fängt schon beim Transport an. „In Holland werden die Badminton-Spieler vom Verband besser unterstützt“, sagt Erdmann. „In Deutschland ist Basketball der Rollstuhlsport schlechthin – und dann kommt erst einmal ganz lange nichts.“ Als Alibi für die Zurückgezogenheit von Rollstuhlfahrern lässt sie das aber nicht gelten: „Viele sitzen in ihrem Zimmerchen, lassen die Rolläden runter und sagen, tu mir bloß nix in den Briefkasten. Die wollen einen, der so macht“ – Angelika Erdmann reckt demonstrativ den Kopf in die Höhe und streichelt mit zwei Fingern zärtlich ihr Kinn, so als ob sie sich selbst ganz lieb um etwas bitten würde: „Aber dafür bin ich nicht der Typ.“