Politik hat wieder Unterhaltungswert

■ In Frankfurt am Main ist die Stimmung gelassen. Die Leute reagieren amüsiert bis schadenfroh auf den Absturz der CDU. Helmut Kohl? „Der hat doch kein Demokratieverständnis, kein Schuldbewusstsein und den Blick für die Realität verloren“

Das Volk giert nach neuesten Nachrichten. In der U-Bahn-Station an der Höhenstraße im Frankfurter Stadtteil Bornheim fliegen im Fahrtwind mehr Zeitungen herum als sonst – ausgelesen und weggeworfen. Die Leute sehen fern und seit langem wieder dieselben Programme: Nachrichten satt und Michel Friedmans Talkshow mit Heiner Geißler im hessischen Regionalprogramm.

Selten so gelacht! Die Stimmung ist eher gelassen, amüsiert bis schadenfroh. Dirk Sänger (28) ist Werbetexter und auf dem Weg ins Westend. Die Politik habe, stellt er fest, „wieder einen hohen Unterhaltungswert“. Als Experte sagt er: „Mitten im Leben ... der CDU-Slogan war gar nicht so schlecht. Und nun passt er ja auch irgendwie.“ Der gehe nämlich so weiter: „... sind des Todes. Media vita, in morte sumus. Stammt aus dem Mittelalter, memento mori, gedenket des Todes!“ Die CDU sei ein auf Jahre schwer verkäufliches Produkt geworden. „Denen glaubt doch niemand mehr, wenn sie, egal wer, auch nur noch ein Wort über Ehrlichkeit, Ordnung, Disziplin sagen.“ Das Produkt-Image ist beschädigt. „Der Kohl als abgestürzter Ikarus hinterlässt einen ziemlichen Fettfleck auf der Partei-Weste.“

Antje Montag (31) arbeitet als Sachbearbeiterin in einer Frankfurter Beschäftigungsgesellschaft. Sie ist sich sicher: „Das war doch beschlossene Sache, dass der seinen Ehrenvorsitz zurückgibt. Jetzt soll er endlich auch die Namen preisgeben.“

Kohl sei für Deutschland ja nicht schlecht gewesen, vor allem wegen der Wiedervereinigung: „Na ja, jetzt hat er einen Karriereknick, aber er wusste, was er tut.“ Ob er im Bundestag bleiben soll? „Ich weiß nicht, ja, doch, wenn er die Namen preisgibt. Sonst schadet er nur seiner Partei. Dem ist sein Versprechen mehr wert als die CDU.“ Wenn er es sich mit den Leuten, die das Geld gegeben haben, nicht verderben wolle, dann solle er sich als Rentner ganz zurückziehen.

Murkan und Ali braten Hähnchen in der Innenstadt. Was ist mit Kohl? Was soll damit sein? Kohl haben sie mehr als genug: „Das da! Schmeckt sehr gut. Wie heißt das auf Deutsch? Krrrautsalat! Schmeckt gut mit Hähnchen. Ist am besten, wenn man es schön klein hackt.“ Aber mal im Ernst, die beiden verstehen die Aufregung nicht. Der Kohl habe das Geld doch nicht mal selbst eingesteckt. Nein, mehr wollen sie nicht sagen: „Ist uns egal. Wir müssen arbeiten.“

Die Sozialwissenschaftlerin Mechthild Veil (55) lebt im noblen Taunusstädtchen Kronberg: „Ich frage mich da schon seit Wochen auf der Straße immer, wie viele Betroffene dort rumlaufen, sowohl Nehmer als auch Geber.“ Es sei höchste Zeit gewesen, „dass das Denkmal stürzt. Aber für mich war Kohl nie so ein Denkmal.“ Dem sei es doch ganz offensichtlich „ziemlich schnuppe“, was nach seinem Rücktritt passiere. „Das Image als angesehenen Europabauer kann man ihm nicht mehr nehmen. Ich glaube nicht, dass er bewusst handelt. Er hat kein Demokratieverständnis.“

Eventuell stamme das Geld noch aus der Flick-Affäre, meint Mechthild Veil. In allen Ländern werde so ein Verhalten korrupt genannt. „Nur hier wird dauernd von Tugend und Opfern für einen höheren Wert geredet. Das finde ich deutsch: Üb immer Treu und Redlichkeit. Das Gejammer der CDUler ist unappetitlich.“

Den Drucker Jörg D. (36) interessiert Kohl „nicht besonders, und am Ehrenvorsitzenden habe ich erst recht kein Interesse. Ich habe die nie gewählt.“ Ob der frühere Kanzler sein Bundestagsmandat behält, sei ihm deshalb auch egal, „da sitzen eh zwei Drittel Verbrecher“.

Eine gewisse Schadenfreude habe er schon, dass „der große, dicke Einheitskanzler so tief gestürzt ist“, sagt Jörg D. „Der hat kein Schuldbewusstsein, der hat den Blick für die Realität verloren und hat sich als über den Gesetzen stehend gesehen. Immerhin hat er sie doch gemacht.“ Heide Platen, Frankfurt/Main