Lustschloss für Leseratten

■ Die neue Zentrale für die Stadtbibliothek kommt nicht, kommt doch, kommt nicht, kommt doch ... Bibliothekschefin zieht Jahresbilanz

Wie wär's mit noch einem Ultimatum? „Wenn ich nicht“, könnte Barbara Lison, die Leiterin der Bremer Stadtbibliothek, sagen, „bis zum 15. März die Zusage fü die neue Zentrale bekomme, dann platze ich / gehe ich nach Stuttgart / verrate ich die geheimen Konten der Bremer CDU.“ Allein Barbara Lison sagt so etwas nicht. Sie stellt keine Ultimaten wie der Theaterintendant Klaus Pierwoß. Sie sagt stattdessen nur: „Wir planen weiter“, und sie meint damit das Leseratten-Lustschloss namens neue Zentralbibliothek im Polizeihaus.

Genau 330.000 Mark pro Jahr fehlen der Bibliothekschefin. Seit Kultursenator Bernt Schulte (CDU) Anfang November dieses Planungsloch bekannt gegeben hat, sei aber nicht viel passiert. Wie berichtet, haben viel zu hoch kalkulierte Einnahmen etwa durch die Aufgabe der Bibliothek Neustadt die Kalkulation durcheinandergewirbelt. Schulte will diese Mehrkosten nicht aus dem Kulturetat bezahlen, und Lison kann das Geld aus dem Bibliothekenbudget auch nicht aufbringen: „Das kann ich nicht wegdrücken“, sagte sie gestern bei der Präsentation der Jahresbilanz.

Eine abgespeckte Zentrale lehnt sie indes auch ab. Nach den Plänen der Bibliothekschefin soll neue Zentrale insgesamt um 2.000 Quadratmeter größer werden als die winzige Zentrale im Schüsselkorb, die Musikbibliothek und die Neustadtsbibliothek zusammen. Wenn sie die 330.000 Mark über die Miete einsparen müsste, bliebe nur eine Flächenvergrößerung von 400 Quadratmetern übrig. „Doch für 400 Quadratmeter setze ich keine Umzugskarawane in Gang.“ Und weil ohnehin keine „goldenen Wasserhähne“ geplant sind, sei auch bei den Umbaukosten nichts zu holen.

Seit bald zehn Jahren wird über die neue Hauptbibliothek und das so genannte „4 plus 1“-Konzept mit einer Zentrale und vier größeren Filialen. diskutiert. Auf die Frage, was wohl in zwei Jahren passiert sein wird, antwortet Lison: „Dann sind wir umgezogen.“ Und sie ergänzt nach einer Pause: „Doch das habe ich vor zwei Jahren schon mal gesagt.“

Aber immerhin: Die Bibliothek ist inzwischen in einen Eigenbetrieb umgewandelt worden – wenigstens teilweise. Und das bedeutet: Budgets statt fester Stellen(kürzungs)pläne und betonharter Haushaltstitel. Im Eigenbetrieb können Lison und Co. selbst entscheiden, ob sie Geld für Neuanschaffungen ausgeben oder frei werdende Stellen sofort wieder besetzen. All dies natürlich nur in einem gewissen Rahmen, und der heißt: Inclusive neu hinzugerechneter kalkulatorischer Mieten hat die Stadtbibliothek einen Jahresetat von rund 20 Millionen Mark. Etwa 19,2 Millionen Mark (oder rund 96 Prozent) sind öffentliche Zuschüsse, der Rest von 800.000 Mark sind Eigeneinnahmen. Der Zuschuss werde auf keinen Fall erhöht, sagt Lison. Im Gegenteil: Die auf über 200.000 Mark geschätzten Tariferhöhungen muss die Bibliothek selbst aufbringen.

Von dem Gesamtetat werden zurzeit sieben größere Zweigstellen, die Zentrale sowie 14 kleinere Einrichtungen mit ihren 150 MitarbeiterInnen bezahlt. Für Neuanschaffungen gibt die Bibliothek zwischen 1,6 bis 1,8 Millionen Mark im Jahr aus.

Trotz des auf den ersten Blick relativ geringen Anteils von Eigeneinnahmen wird der Eintritt in die Bibliothek auch weiterhin frei sein. Den McKinseys dieser Welt sagt Lison: „So lange es das Grundrecht auf Information gibt, bleibt der Besuch kostenlos.“ Aber: Für manche Leistungen wie den Bestseller-Service nimmt die Bibliothek über den Jahresbeitrag von 30 (ermäßigt 16) Mark hinausgehende Gebühren. Bei diesem Service kann man für drei Mark extra gefragte Bestseller innerhalb kürzester Zeit ausleihen – auch wenn ein weiteres Exemplar des Buches dafür eigens angeschafft werden muss. Laut der Bilanz für 1999 hat die Stadtbibliothek in der Resonanz noch mal zugelegt. 63.000 BremerInnen (eine Steigerung von drei Prozent) haben einen Bibliotheksausweis beziehungsweise die BibCard. Sie haben über 2,3 Millionen Mal ein Buch, eine Videocasette, eine CD-ROM oder neuerdings eine DVD ausgeliehen (plus sechs Prozent). Von einem auf Quote schielenden Programm will Barbara Lison nichts wissen: „Wir kaufen nicht einfach nur das, was die Leute ausleihen – allerdings sind wir auch nicht mehr so pädagogisch wie früher.“ Nur in der Zentralbibliothek werden nicht ausgeliehene Titel aus dem Regal genommen. Der Grund: „Sie ist zu klein.“ Alle Bibliotheksfilialen zählten im vergangenen Jahr fast 1,3 Millionen BesucherInnen. Einige Tausend davon sind auch in die März eröffnete Bibliothek West in Gröpelingen gegangen, die nach Lisons Angaben durch eine neue, an den LeserInnen orientierte Sortierung sowie vier PCs mit Internetzugang Modell für alle anderen Häuser ist. ck