Politik mit Fünfmarkstücken

Im Kreuzberger Bezirksparlament ist seit dem Einzug der Spaßpartei KPD/RZ nichts mehr, wie es war. Vor allem die CDU beklagt den Sittenverfall  ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Die Zukunft der Bundesdruckerei geht der jungen Frau gelinde gesagt am Arsch vorbei. Obwohl die geplante Privatisierung auf Punkt eins der Tagesordnung gehievt wurde – immerhin geht es um 2.000 Arbeitsplätze – blättert sie in einem Frauenmagazin. Als über die Resolution der CDU zum Stopp des geplanten Verkaufs abgestimmt wird, wirft sie ein Fünfmarkstück in die Luft. Auf dem Rücken ihrer rechten Hand landet die Zahl. Das heißt, sie stimmt gegen die Resolution – als Einzige.

Nanette Fleig, die seit November 1999 als fraktionslose Einzelverordnete in der Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung (BVV) sitzt, hat Seltenheitswert in der Bundesrepublik. Dank der Einführung der Dreiprozenthürde im vergangenen Jahr hat die Ende der 80er-Jahre gegründete Spaßpartei „Kreuzberger Patriotische Demokraten/Revolutionäres Zentrum“ (KPD/RZ) den Einzug ins Bezirksparlament geschafft.

Ihre politische Unerfahrenheit macht Fleig mit aufwändigen Vorbereitungen wett. Zu der dritten Sitzung am Mittwoch trug die 30-Jährige ihre „Dienstkleidung“, eine blaue Perücke. Auf dem Tisch lagen Obsttörtchen, ein Wikingerroman und ein Punker-Fanzine. Fleig, die dank mehrerer abgebrochener Studien über ein breites Allgemeinwissen verfügt, arbeitet bei einem amerikanischen Label und muss „in der Musikszene auf dem Laufenden“ sein. Außerdem braucht sie eine Ablenkung von den „unglaublich bescheuerten Sitzungen“. Das wichtigste Requisit ist das Fünfmarkstück. Nur wenn ihre Stimme gekauft wurde, bleibt es liegen.

Wer Ernsthaftigkeit von einer Partei erwartet, die ein „Nachtflugverbot von Pollen“ und „Legalisierung der Korruption“ fordert, ist selber schuld. „Das Spielerische mit der Münze mag sehr bunt sein, aber entspricht nicht der Würde des Hauses“, schimpft Alexander Bölter. In den über zwanzig Jahren, die er für die CDU im Bezirksparlament sitzt, hat er dergleichen nicht erlebt. Die „Chaoten-Jux-Truppe“ habe in der BVV nichts zu suchen. Ganz so eng sieht das die SPD nicht. So fand es Peter Beckers durchaus „auflockernd“, als er bei der ersten Sitzung in den Bonbonregen für die „Bürgermeisterin der Herzen“ geriet. Doch er hofft „auf eine konstruktivere Zusammenarbeit“.

Nichtsdestotrotz stieß es dem einen oder anderen SPDler bitter auf, als sich Fleig bei der ersten Sitzung auf einem ihrer Plätze niederließ. Erst nachdem sich der Ältestenrat mit dem Thema beschäftigte, durfte sie in der Mitte des Saales Platz nehmen – direkt hinter der PDS, wo eine zweite Exotin sitzt. Michaela Lindner war vorher Norbert Lindner und PDS-Bürgermeister in Sachsen-Anhalt.

Bei der PDS und den Grünen stößt Fleig erwartungsgemäß auf Verständnis. „Wir sollten uns als BVV nicht zu ernst nehmen“, sagt Lothar Schüssler von der PDS. Reimund Helms von den Grünen: „Ich würde sie gerne bestechen, aber die Mehrheitsverhältnisse sind nicht so knapp.“ Die grüne Jugendstadträtin Hannelore May bewies größtes Spaßverständnis, als sie Fleigs kleine Anfrage beantwortete, ob bei den Straßenschlachten der KPD/RZ gegen die „Friedrichshainer Amorphen Zentralisten“, bei denen die Kreuzberger stets verlieren, Schmiergelder geflossen seien. „Das erfährt man erfahrungsgemäß erst Jahre später“, sagte sie.

Trotzdem müssen sich die etablierten Parteien fragen lassen, ob die KPD/RZ wirklich die einzige Spaßpartei ist. Wer in epischer Breite darüber diskutiert, ob eine Änderung der Windrichtung Satellitenschüsseln an Balkonen zu einer öffentlichen Gefahr werden lassen kann, liegt nicht so weit entfernt von einer Partei, die Rauchverbot in Einbahnstraßen fordert.