Schrittweise Enteignung

Anfang 1933, als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, lebten 525.000 Juden in Deutschland. Der Wert des jüdischen Eigentums war am Ende der Weimarer Republik auf über zehn Milliarden Reichsmark geschätzt worden.

Bis zum Verbot ihrer Auswanderung im Oktober 1941 waren etwa 330.000 Juden aus dem Nazistaat geflohen. Die noch unter Reichskanzler Heinrich Brüning verabschiedete so genannte Reichsfluchtsteuer von Ende 1931, die ursprünglich den Abfluss von Devisen verringern sollte, erwies sich angesichts der massiven Emigration von Juden als Goldgrube für die Nazis: Die Emigranten wurden ausgepresst bis zum letzten Pfennig.

Konnte jeder Flüchtende bei Hitlers Machtantritt noch 200 Reichsmark ohne Genehmigung ausführen, wurde diese Summe nach und nach auf 10 Reichsmark heruntergesetzt. Das Vermögen von Kommunisten konnte schon seit Mai 1933 vom Staat eingezogen werden. Zug um Zug weiteten die Juristen des Naziregimes dies auch auf die Juden aus.

Seit der Pogromnacht vom 9. November 1938 verschärfte sich die Situation noch einmal. Obwohl sie die Opfer der Ausschreitungen waren, mussten die Juden eine zynisch so genannte „Sühneleistung“ von einer Milliarde Reichsmark ableisten. Spätestens seit Mai 1941 galten auch sie generell als „Reichsfeinde“, deren Besitz dem Staat zufiel. Das Hauptinstrument war dabei das immer mehr verschärfte Reichsbürgergesetz. Nach seiner XI. Verordnung verloren Juden, die im Ausland wohnten oder dorthin „ausreisten“, die deutsche Staatsangehörigkeit. Damit konnte der Staat über ihr Vermögen verfügen. Die besetzten Staaten galten ab Dezember 1941 als Ausland – also auch die Todeslager im Osten.

Die XII. Verordnung vereinfachte das Verfahren noch mehr: Seit dem 25. April 1943 waren auch die Juden, die noch im Inland lebten, keine Staatsbürger mehr – auf dieser Gesetzesgrundlage konnte all ihr Hab und Gut konfisziert werden.

In den besetzten Staaten im Westen wie Belgien und Frankreich wurden bis Ende Juli 1944 genau 69.512 Wohnungen jüdischer Bürger ausgeplündert. Das ergab einen Frachtraum von 1.079.373 Kubikmetern: 26.984 Waggons in 674 Zügen. Allein durch die Bestimmungen der XI. Verordnung zum Reichsbürgergesetz, durch das jeglicher Besitz aller deportierten Juden dem Staat zufiel, nahm das Deutsche Reich 777,7 Millionen Reichmark ein. Die Ausplünderung der Juden hat den Deutschen mehrere Milliarden Reichsmark eingebracht.

Philipp Gessler

Literatur zum Thema:

Betrifft „Aktion 3“. Deutsche verwerten jüdische Nachbarn. Dokumente zur Arisierung, ausgewählt und kommentiert von Wolfgang Dreßen, Berlin, Aufbau Verlag 1998, 256 Seiten, 39,90 Mark

Verfolgung und Verwaltung. Die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden und die westfälischen Finanzbehörden, herausgegeben von Alfons Kenkmann u. Bernd-A. Rusinek, Oberfinanzdirektion Münster 1999