Deutschwerden dauert

Die Neuköllner Einbürgerungsstelle ist überlastet. Die Hälfte der Bewerber muss zum Sprachtest. Einbürgerungen nach neuem Gesetz frühestens im Herbst ■ Von Julia Naumann

Wenn es endlich so weit ist, läuft es ganz unspektakulär ab: Auf der Urkunde werden Name und Geburtsdatum eingetragen, vielleicht lässt die Standesbeamtin noch ein paar freundliche Worte fallen, Blumen sind nicht vorgesehen – und schon gibt es einen neuen Staatsbürger.

Für lange Reden haben die Beamten kaum Zeit: Seit vor drei Wochen das neue Staatsbürgerschaftsrecht in Kraft getreten ist, sind die Einbürgerungsstellen überlastet. Nicht weil plötzlich so viel mehr AusländerInnen Deutsche werden wollen, sondern weil man die neuen Einbürgerungsvorschriften noch nicht so beherrscht und einige strittige Punkte noch nicht umfassend geregelt sind. Denn noch immer wird nach den vorläufigen Verwaltungsrichtlinien verfahren. Die endgültigen müssen erst noch durch den Bundesrat.

„Wir sind hier eigentlich nur am Informieren und Diskutieren“, sagt Kristina Zander, stellvertretende Leiterin der Einbürgerungsstelle in Neukölln. „Das ist ziemlich anstrengend.“ Seit Jahresbeginn kamen ungefähr 800 Menschen in das Amt, das aufgrund von Platzmangel vor einigen Monaten umgezogen ist und etwas versteckt in einem Industriegebiet in der Nähe der Lahnstraße liegt. Vor der Reform war es ein Drittel weniger pro Monat. „Viele von ihnen wissen nur ganz wenig über das Prozedere, andere sind falsch informiert.“ Große Verwirrung herrsche zum Beispiel über die Einbürgerung von Kindern. Viele dächten, dass Kinder jetzt nach der Geburt automatisch Deutsche würden. In Wirklichkeit ist es aber so: Neugeborene und Kinder bis zum 10. Lebensjahr werden nur dann Deutsche, wenn ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes bereits 8 Jahre rechtmäßig in Deutschland gelebt und seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat.

Zander bemängelt, dass es zu wenig Informationsmaterial gebe. Jede Beratung dauere mindestens zehn Minuten. „Jeder Fall ist ein sehr individueller Fall.“ Wie viele der BesucherInnen die Formulare ausfüllen und sich tatsächlich einbürgern lassen, vermag Zander nicht zu sagen. Die ersten NeuköllnerInnen können mit einem positiven Bescheid frühestens im Herbst rechnen. So lange dauert die Bearbeitung. Dann muss der Neubürger auch noch aus seinem Heimatland ausgebürgert werden. Bei Türken dauert das im Durchschnitt ein Jahr.

Die Einbürgerung zieht sich auch wegen der vom Gesetzgeber eingebauten neuen Hürden wie zum Beispiel der verlangten „ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache“ hin. Rund die Hälfte derjenigen, die in den vergangenen Wochen in Neukölln zu einem Beratungsgespräch gekommen sind, konnten keine durchgehende vierjährige Schulzeit oder einen Schulabschluss in Deutschland vorweisen – sie müssen nach dem neuen Gesetz einen Sprachtest absolvieren. Meistens handelt es sich dabei um Menschen der ersten Einwanderungsgeneration, die schon seit 30 Jahren in Deutschland leben, oder um zugezogene EheparterInnen. Nur „ganz wenige“, sagt Sachbearbeiterin Ilona Davids, könnten das geforderte Sprachzertifikat „Deutsch als Fremdsprache“ oder eine erfolgreiche Prüfung auf gleichem Niveau vorweisen. Die Tests böten sehr viel „Diskussionsstoff“, sagt Davids vorsichtig.

Entgegen anfänglichen Bestrebungen der Innenverwaltung, die Tests auch in der Einbürgerungsbehörde durchführen zu lassen, sollen sie jetzt nur noch in Volkshochschulen oder Sprachschulen erfolgen, so die Sprecherin der Innenverwaltung, Isabelle Kalbitzer. Das erleichtere die Handhabe, außerdem sei die Gefahr des Missbrauchs gebannt. Die Vorgabe, dass der Einbürgerungswillige der Sachbearbeiterin einen Zeitungsartikel vorlesen muss, ist damit vom Tisch. In den Schulen kann man auch einen so genannten Kurztest machen, wenn die Sprachkenntnis eindeutig ist. Dort sollen allerdings Zeitungsartikel verwendet werden. Die Einbürgerungsbeamtin Zander ist darüber erleichert: „Wir sind doch keine DeutschlehrerInnen.“

In Neukölln wird außerdem wie in den meisten anderen CDU-geführten Bezirken eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz gestellt. Innensenator Werthebach (CDU) möchte eine Regelanfrage für alle Bezirke durchsetzen, doch die SPD und auch die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) stellen sich dagegen. Eine endgültige Regelung wird in den nächsten Wochen erwartet.

In Berlin wurden 1999 rund 12.500 Menschen eingebürgert. 45.000 Anträge nach altem Recht müssen noch abgearbeitet werden.