Die Mär vom Klimaschutz mit Kettensägen

betr.: „Abschied von der Logik“, taz.mag vom 15./16. 1. 00

Das Interview mit Patrick Moore ist ein schönes Beispiel von Zuarbeit. Der Interviewer (Michael Miersch) wirft die Stichwörter ein, die der Interviewte für seine Statements braucht. Das Dumme nur: Entweder kennen beide nicht alle Fakten, oder schlimmer: sie kennen alle Fakten, bringen sie aber nicht alle zur Sprache.

Einige Fakten:

An Sturm angepasste Wald-Ökosysteme (das heißt mit morphologischen Anpassungen der Einzelbäume oder Verhaltensanpassungen des Systems) gibt es weltweit überhaupt nicht. An Feuer angepasste Wälder gibt es in manchen mediterranen und trocken-subtropischen Bereichen, nicht aber in den gemäßigten Zonen, in denen die pazifischen Küsten-Regenwälder liegen. Anpassungen sind dicke, korkreiche Rinden bei den Bäumen oder durch viele Schichten geschützte Vegetationspunkte bei krautigen Pflanzen.

Die „natürlichen Einschnitte“ in den Waldgebieten Britisch-Kolumbiens sind eher eine fromme Mär als eine Tatsache.

Sekundärwälder kann man von unberührten Wäldern dann nicht unterscheiden, wenn die abhängigen Kryptogamen (auf den Bäumen wachsende Moose, Flechten und Pilze, die den großen Teil des Artenreichtums des nordpazifischen Regenwaldes ausmachen) nicht sieht und beachtet. Bei diesen abhängigen Kryptogamen gibt es artspezifisch unterschiedliche Verhaltensmuster: Euryöke, progressive Organismen können sich nach Kahlschlag von verbliebenen Waldresten aus schnell in die Sekundärwälder ausbreiten. Stenöke, nicht zu scheller Ausbreitung befähigte („konservative“) Organismen brauchen dagegen kontinuierlich bestehende Waldbestände, da sie sich nur auf nah benachbarte und im Alter ähnliche Waldbäume ausbreiten können, nicht aber auf die Pionierhölzer der Kahlschläge oder die Jungbäume des Sekundärwaldes.

[...] Zu „Wald und Bäumen“ übrigens: Auch in Deutschland nimmt die Waldfläche kontinuierlich zu, wenigstens noch in den 80er-Jahren. Aber man sollte schon hinsehen, was da bei dieser Zunahme heranwächst. Franz Schuhwerk, Botaniker, Regensburg

Mehr Wissenschaftlichkeit wünscht sich Patrick Moore in der Umweltdiskussion. Wünsche ich mir auch. Vielleicht hat es dann endlich mal ein Ende mit dem gebetsmühlenartigen Wiederholen längst widerlegter Behauptungen. Beispiel Klimaschutz: Der Regenwald an der kanadischen Westküste speichert durchschnittlich 3.000 Tonnen CO2/Hektar und entzieht dieses damit der Atmosphäre. Wenn dieser Wald durch einen 80-jährigen (von der Forstwirtschaft angestrebte Umtriebszeit) Sekundärwald ersetzt wird, der nur noch 1.800 Tonnen CO2/Hektar enthält, dann wird in der Bilanz nach einem Umweg über Papier und Spanplatten eine beträchtliche Menge CO2 klimarelevant freigesetzt. Das ist Vorschulmathematik, und wer es wissenschaftlich haben will, kann es in zahlreichen Studien unabhängiger Wissenschaftler nachlesen (z. B. Science, 247, 699ff).

All diese Studien hindern Herrn Moore nicht daran, weiterhin die Mär vom Klimaschutz mit Kettensägen zu verbreiten. Oder Beispiel Artenvielfalt: Natürlich gibt es in Sekundärwäldern ähnlich viele Arten wie in den Urwäldern. Niemand bestreitet das. Aber: Viele Arten (auch Wirbeltiere) brauchen Strukturen, die sich in den Wäldern erst nach 200 oder 300 Jahren einstellen – und bei Wäldern, die alle 100 Jahre eingeschlagen werden, gar nicht entstehen können. Und genau diese Arten bevölkern dann die Roten Listen. [...]

Dr. Rainer Paffenholz, Berlin