„Ich denke . . . wir waren auch so“

Die Schauspielerin Jutta Lampe über den alten und neuen Aufbruch an der Schaubühne

Jutta Lampe, 56, kam 1970 mit Peter Stein, Edith Clever und Otto Sander an die Schaubühne, um das erste kollektiv bestimmte Stadttheater der BRD zu gründen. Ensemblemitglied bis 1993, wurde sie zum Inbegriff des Schaubühnenstils und gab so großartige Vorstellungen wie u. a. die Mascha in Steins berühmter Inszenierung der „Drei Schwestern“.

taz: Jutta Lampe, als Sie 1970 mit Peter Stein von Bremen über Zürich nach Berlin an die Schaubühne kamen, hatten Sie da das Gefühl, auf dem Siegeszug zur Veränderung des Theaters und der Gesellschaft zu sein?

Jutta Lampe: Um Gottes Willen, das war alles viel normaler. Wir waren froh, als Dieter Sturm uns nach Berlin rief, um ein Ensemble zu gründen, weil wir stadttheatermüde waren. Wir wollten nicht mehr alles von oben bestimmt haben. Für mich war das Wichtige der Ensemblegedanke, die Selbstbestimmung im Theater. In politischen und gesellschaftlichen Fragen war ich noch eine Lernende, und die Studentenbewegung war uns durchaus ein Vorbild. Von dieser Seite der Gesellschaft wurden wir natürlich unterstützt.

Sie praktizierten Mitbestimmung und eröffneten mit Brecht. Was war Ihre Utopie?

Es gab viele Positionen im Ensemble, geradezu politische Fraktionen, aber auch Neutrale. Es gab Schwierigkeiten mit dem Senat, man hielt uns für eine kommunistische Zelle; dann gab es im Ensemble lange Diskussionen. Aber die gemeinsame Basis blieb die Theaterarbeit. Wir hatten damals einen großen Themenbereich: Natürlich ging es darum, auf aktuelle Themen zu reagieren, aber wir wollten uns auch mit unserer bürgerlichen Vergangenheit, der Entstehung des Theaters und vielem mehr auseinandersetzen.

Wann begannen Sie am Modell Schaubühne zu zweifeln?

Ich habe immer daran geglaubt und werde immer daran glauben. Diese Art zu arbeiten – gemeinsam Fragen zu stellen über unseren Beruf, gemeinsam zu entscheiden und eine Kontinuität zu schaffen – ist für mich bis heute die Basis von Theater. Das sind keine einfachen Prozesse, und es braucht dafür eine menschlich integre und künstlerische Autorität, die in der Lage ist, unterschiedliche Menschen zusammenzuführen.

War ein radikaler Neuanfang an der Schaubühne notwendig?

Ich hatte von Anfang an das Gefühl, Schitthelm hat die richtige Entscheidung getroffen. Natürlich geht dabei auch etwas verloren. Auch für mich war es schmerzlich, ein künstlerisches Zuhause zu verlieren, welches sich allerdings in den letzten Jahren sehr verändert hatte. Es gab viele neue, auch jüngere Kollegen, die gar nicht mehr wussten, was denn die „alte Schaubühne“ war.

Wo liegen Parallelen, wo Differenzen zwischen den Anfängen 1970 und 2000?

Es gibt ein ähnliches Bedürfnis nach einem Ensemble und Mitbestimmung. Und die Frage: Was sind unsere Themen heute? Es gibt den Versuch, in Ruhe etwas aufzubauen, eine Gruppe, eine Identität. Ich befürchte, dass da viel zu schnell draufgehauen werden wird. Die werden noch viel Zeit brauchen, sich zu finden.

Missfallen würde mir, wenn die Gruppe nur bei einer Art von Stücken bleiben würde. Nur Unterprivilegierte und Outcasts – das wäre mir zu langweilig. Es ist absurd, sich nicht in Stücke hineinzubegeben, um sie kennen zu lernen. Das Theater ist so reich. Ostermeier wird eines Tages Hunger darauf kriegen. Was mir jedoch gefällt, ist, dass die einfach sagen: Wir machen, was wir können.

Irritiert Sie der Jugendwahn, der an der Schaubühne ausgebrochen ist?

Ich denke ... wir haben auch so angefangen. Die brauchen erst mal Raum für sich. Das ändert sich bestimmt.

Ostermeier wirft dem Theater eitle Selbstreferenzialität vor.

Davon weiß ich wenig. Ich bin in den letzten Jahren eher in die Baracke gegangen.

Interview: Christiane Kühl