Russland-Politik mit Halbsätzen

In Moskau hält sich Joschka Fischer in der Frage des Tschetschenien-Krieges zurück. Dennoch wirbt er weiter für eine politische Lösung ■ Aus Moskau Patrik Schwarz

Zum Gespräch in den Kreml nahm Joschka Fischer nur seine drei engsten Russlandspezialisten mit. Kein unkontrolliertes Wort sollte von seinem Treffen mit Russlands amtierendem Präsidenten Wladimir Putin nach draußen dringen. Für beide Politiker ist das Thema Tschetschenien auch innenpolitisch brisant. Putin glaubt Härte zeigen zu müssen, wenn er die Präsidentschaftswahlen Ende März gewinnen will. Über Fischer hängt der Vorwurf, der selbst ernannte Menschenrechtsminister sei zu weich in seinen Protesten gegen das russische Schlachten im Kaukasus.

Kein Wort also sollte durch die Kreml-Türen dringen, doch, Gott sei dank, gibt es Swetlana Sorokina. Kurz bevor Fischer in den Kreml aufbrach, bearbeitete die Starjournalistin vom russischen Fernsehsender NTW den Außenminister fast eine halbe Stunde. Mit einer Mischung aus Präzision und Unnachgiebigkeit konfrontierte Sorokina den deutschen Außenminister mit der russischen Kritik an seiner Haltung zu Tschetschenien. Die Fragen wie die Antworten lieferten somit ein gutes Abbild dessen, was sich 90 Minuten später hinter den Kreml-Mauern abgespielt haben dürfte.

Als einen der härtesten Gegner der russischen Tschetschenien-Politik bezeichnete die Journalistin Fischer, der eine moralische Achillesferse habe: Im Kosovo-Konflikt hätte doch der Westen selbst versucht, ein Problem mit Gewalt zu lösen. Wer den Tschetschenieneinsatz verurteile, müsse sich Doppelmoral vorhalten lassen. Warum also verhalte sich der Außenminister so radikal?

„Ich bin nicht radikal“, hebt der Minister an und auch auf seine Achillesferse kommt er nicht zu sprechen. Stattdessen verwendet er einige Mühe darauf, sein russisches Gegenüber vom deutschen Verständnis für die schwierige Lage im Kaukasus zu überzeugen. Natürlich sei es das Recht, ja die Pflicht der Regierung gegen Terrorismus vorzugehen. Dann kommt der Satz, der zum Mantra von Fischers Tschetschenien-Politik geworden ist. „Aber wichtig ist die politische Lösung.“

Ob er ihn zum fünften oder 25. Mal herunterbetet, Fischers Inbrunst verrät echten Glauben. Auch Fischers Argumente im Gespräch mit der russischen Seite variieren vor allem einen Gedanken: Am meisten profitiere von einer friedlichen Lösung Russland selbst. „Die Gewaltpolitik von Milošević ist ein großes Unglück für Serbien“, hält er Moskau vor Augen. Wenn der Tschetschenien-Krieg beendet sei, werde das auch das Investitionsklima verbessern, denn Investitionen bräuchten Frieden. Der Satz ist fast ein Allgemeinplatz, doch Swetlana Sorokina hakt nach. Möchte der Außenminister etwa die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Russen von deren Wohlverhalten in Tschetschenien abhängig machen? Davon könne keine Rede sein, beschwichtigt der Minister, „aber natürlich spielt auch Tschetschenien in die Gesamtlage hinein“. Wieder ein halber Allgemeinplatz, wieder eine halbe Warnung.

Fischers Politik mit Halbsätzen kann in Moskau womöglich Erfolg haben, zu Hause wird sie ihm Ärger bereiten. Zu wenig und zu spät, werden ihm seine Kritiker vorhalten. Eine Isolation Russlands wäre die einzige Alternative, kontert Fischer, und dies sei keine Alternative.