■ Hessens Ministerpräsident Koch und der Leiter der Staatskanzlei, Franz Josef Jung, wussten womöglich doch von Schwarzgeldkonten der CDU. Kaum jemand mag ihnen abnehmen, dass sie von den Erpressungsversuchen eines früheren Mitarbeiters keine Ahnung hatten
: Schweigegelübde statt Strafanzeige

Fällt nach Manfred Kanther noch ein strammer „Stahlhelmer“ der hessischen Union in Ungnade? Nach Auffassung der Oppositionsparteien im Wiesbadener Landtag an der Reihe wäre jedenfalls Franz Josef Jung, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Leiter der Staatskanzlei von Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Denn dass der 50 Jahre alte Jung – der von 1987 bis 1999 parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion der CDU und von 1987 bis 1991 als Nachfolger von Kanther auch der Generalsekretär der hessischen CDU in Hessen war – von den dubiosen Transaktionen von Spenden und – angeblich auch – Mitgliedsbeiträgen ins Ausland und von den frei erfundenen „Hilfskonstruktionen“ (Kanther) zur Rückführung der Millionen in die Parteikasse „nichts gewusst“ (Jung) habe, glaubt in Wiesbaden inzwischen kein Mensch mehr.

Schuld daran ist nicht zuletzt der Ministerpräsident und Landesvorsitzende der hessischen Union, Roland Koch. Der bemüht sich nach eigenen Angaben inzwischen sogar um „brutalstmögliche Aufklärung“, um sich im Verlauf dieser „Staats- und Finanzierungskrise“ (SPD) mit historischen Dimensionen nicht noch selbst demissionieren zu müssen.

In der CDU-Landesgeschäftsstelle hätten außer Kanther und seinem Kassenwart Prinz Wittgenstein wohl noch mehrere Mitarbeiter von dem Schwarzgeldkonto gewusst, sagte Koch jetzt. Und ausgerechnet nichts davon gewusst haben soll der Fraktionsgeschäftsführer und Generalsekretär, der jeden Scheck, der in der Landesgeschäftsstelle ausgestellt wurde, selbst unterzeichnen musste?

Jung könne doch nicht ernsthaft erwarten, dass ihm diese Geschichte auch nur ein Mensch abkaufe, kommentierte der Landtagsabgeordnete der Bündnisgrünen und frühere Justizminister Rupert von Plottnitz die „aberwitzigen Vorgänge“ in der Kommandozentrale der Union noch am Donnerstagvormittag.

Am Abend schon brach dann ein weiterer Pfeiler am rasch konstruierten „Lügengebäude“ (Bündnisgrüne) der Union weg: 1992 ließ die CDU einen ihrer Mitarbeiter in der Landesgeschäftsstelle laufen, obgleich der eine Million Mark unterschlagen hatte; überwiegend mit gefälschten Schecks, die von Jung in den Jahren zuvor – wohl ahnungslos – unterschrieben worden waren. Strafanzeige gegen den Übeltäter wurde jedoch nie erstattet, dem Mann aber ein Schweigegelübde auferlegt. Und warum das? Der Buchhalter wusste wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass die hessische Union über ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz verfügte. Und dieses Wissen spielte er nach der Aufdeckung seiner eigenen finsteren Machenschaften aus.

Und von diesen ganzen ungeheuerlichen Vorgängen soll der betrogene Generalsekretär und Fraktionsgeschäftsführer keine Kenntnis gehabt haben? „Alle Lebenserfahrung spricht dagegen“, konstatierte danach der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Gerhard Bökel. „Franz Josef Jung, der persönliche Freund von Koch und sein wichtigster Mitarbeiter, muss zum Kreis der langjährigen Mitwisser und Akteure gezählt werden.“ Die SPD mutmaßt, dass Jung mit Geld vom schwarzen Konto für seine Dienste auch bezahlt worden sein könnte.

Fällt Jung, fällt Koch, glauben nicht wenige „Auguren“ im Landtag. Koch ist in diesem neuen Skandalfall nämlich auch Akteur, weil er einem aktuellen Erpressungsversuch des 1992 entlassenen untreuen Mitarbeiters, der inzwischen im „Flurfunk“ des Landtages kurz R. genannt wird, nach eigenen Angaben keine „Beachtung geschenkt“ habe. R. hatte Anfang Dezember 1999 in der Staatskanzlei angerufen, auf das ominöse Schwarzgeldkonto hingewiesen und gedroht, mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel Kontakt aufzunehmen. Am anderen Ende der Leitung: Franz Josef Jung.

Dass er direkt mit R. gesprochen habe, bestritt Jung zunächst. Gestern „erinnerte“ er sich. Er habe den Anrufer aber nicht ernst genommen und ihn an die Landesgeschäftsstelle verwiesen. Koch wurde informiert. Der Ministerpräsident wusste wenigstens zu diesem Zeitpunkt also schon, dass es – möglicherweise – ein Schwarzgeldkonto der hessischen CDU im Ausland gab.

Doch knapp zwei Wochen später, am 16. Dezember, behauptete er im Hessischen Landtag keck, dass es bei der hessischen Union „keine Buchungen, Zahlungen und anderes außerhalb der ordnungsgemäß geprüften Buchführung“ gegeben habe. Am vergangenen Mittwoch sollte sich Koch dazu im Rechtsausschuss äußern. Doch Koch kam nicht. Und seitdem steht er mit unter dem Generalverdacht der Opposition gegen die Führung der hessischen Union.

Die trifft sich heute hinter verschlossenen Türen zum kleinen (Sonder-)Parteitag in der Stadthalle zu Hofheim. Am Dienstag steht dann im Landtag der Antrag der Oppositionsparteien auf Auflösung des Landtages auf der Tagesordnung. Fällt Jung noch vorher, könnte die FDP das Regierungslager verlassen, so die Spekulation gestern. Dann käme es zu Neuwahlen. Wenn nicht, wird sich am 7. Februar, exakt ein Jahr nach der Hessen-Wahl, das Wahlprüfungsgericht mit der Frage nach der Gültigkeit der letzten Landtagswahl beschäftigen. Denn in Artikel 78 der Landesverfassung heißt es, dass eine Wahl dann ungültig ist, wenn „Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren und strafbare oder gegen die guten Sitten verstoßende Handungen, die das Wahlergebnis beinflussen“, festgestellt werden.

Dass der Wahlkampf der CDU wenigstens teilweise rechtswidrig aus einer schwarzen Kasse finanziert wurde, sei am 14. Januar von Ministerpräsident Koch selbst öffentlich eingeräumt worden, konstatierten gestern die Bündnisgrünen im Landtag noch einmal. Der Grundsatz der Chancengleichheit sei so verletzt worden, hieß es auch bei der SPD.

Klaus-Peter Klingelschmitt,

Wiesbaden