Donnas Turnschuhe

Das Blu ist die neue Edeldisco am Potsdamer Platz. Hier dürfen Angestellte jede Menge Geld ausgeben und Spaß haben – solange sie die richtige Kleidung tragen. Ein Ausflug in die Welt der Verbindlichkeit ■ Von Tobias Rapp

Das Blu hat ab 21 Uhr geöffnet. Jeden Tag. Haben Diskotheken neuerdings schon so früh auf? Jeden Tag? In einer Stadt, wo das ernsthafte Ausgehen erst um halb zwei beginnt?

Das Blu ist eine neue Nobeldiskothek, direkt neben den Potsdamer-Platz-Arkaden. Mit großer Medienbegleitung ist sie vor einigen Wochen eröffnet worden, und die Tanzfläche, so hört man, soll aus zerstoßenem Glas bestehen, über das wiederum ein Glasboden gelegt ist. In Berlin dürfte es so einen Laden eigentlich gar nicht geben: Das Blu ist zwar nicht New York, aber mindestens München.

Blau leuchtet der Name über den Marlene-Dietrich-Platz, frierend warten davor etwa dreißig Meter Menschen, eine Schnittmenge aus dem Publikum des 90 Grad und dem des Big Eden. 30 Meter Menschen, die unter der Woche viel arbeiten und die sich am Wochenende ordentlich amüsieren und viel Geld ausgeben wollen. Die deutschen Jungs haben kurze gegelte Haare und tragen dunkelblaue Jacketts, die türkischen Jungs tragen Gucci-Lederjacken oder ockerfarbene Dreiteiler, haben sorgfältig gestutzte Bärte und vollendete Umgangsformen. Alle sehen nach Bürotätigkeit und regelmäßigem Work-out aus.

Die Mädchen tragen Joop-Taschen, sind in Kostüme gekleidet und sehen aus, als würden sie unter der Woche auf dem Ku’damm Parfüm verkaufen. Sie haben lange blonde Haare (das sind die deutschen Mädchen), oder sie haben lange schwarze Haare (das sind die türkischen Mädchen). Bibbernd stehen die Jungs in ihren Armani-Jacketts im Schnee, nur mit einem Hemd drunter, zitternd daneben die Mädchen in ihren Kostümen mit nackten Beinen: ganz schön kalt die Luft, ganz schön lang die Schlange.

Man unterhält sich über die „Beverly Hills 90210“-Folge, wo Donna in einen Club nicht hineingekommen ist. Das ist das eigentliche Thema: die Türsteher. Kommt man hinein oder kommt man nicht hinein.

Man kommt nicht hinein. Zumindest ich nicht. Dem Türsteher reicht ein Blick auf das Schuhwerk: „Tut mir leid, Turnschuhe geht nicht.“ – „Äh, Gästeliste, mit eurem Chef telefoniert, gestern noch, Zeitung, Artikel?“ – „Turnschuhe geht nicht“, sagt der eine, und mit einem Gibt-es-ein-Problem-Blick kommen seine beiden Kollegen und sagen: „Trittst du bitte einen Schritt zurück?“

Eine harte Türpolitik. Das ist okay. Clubs handeln schließlich davon, wer rein darf und wer nicht. Und es ist gut, dieser Frage eine bestimmte Form zu geben, dann wissen wenigstens alle Bescheid. Nur dumm, wenn man dieser Form selbst zum Opfer fällt. Es ist lange her, das man an einem Türsteher gescheitert ist, irgendwann in der mythischen Vorzeit einer langen Ausgehkarriere.

Die Frühachtziger-Adidas-Old-School-Sneakers schreien zwar nicht gerade vor stilistischem Gestaltungswillen, repräsentieren aber doch einen bestimmten Code. Nur dass dieser Code im Blu am Potsdamer Platz nichts gilt. Und obwohl das Tragen von Turnschuhen unter Angestellten die gleiche Bedeutung haben wird, wie dort, wo sich Studenten und Freiberufler herumtreiben, wird sie im Angestellten-Clubkontext anscheinend anders gewertet. Schuhe sind Zeichen von Straße und Flexibilität, hier wie dort, nur will man im Blu für die Nacht und während der Party Verbindlichkeit, um sie am Tag, vielleicht im Büro, überschreiten zu können. An anderen Orten der Stadt hat man dagegen die Überschreitung seit langem verbindlich gemacht. Tag und Nacht.

Was nun? Nach Hause gehen, das einzige Paar Lederschuhe herauskramen, und es dann noch mal versuchen? Kein Türsteher, der etwas auf sich hält, lässt jemanden passieren, der es ein zweites Mal versucht. Das sind die Spielregeln, und die haben ihren Sinn. Also in die S-Bahn. Man fährt zum Haus des Lehrers.

Im Haus des Lehrers findet eine jener halböffentlichen Partys statt. Die Jungs tragen Turnschuhe und Secondhand-Anzüge und machen irgendwas mit dem Internet, oder sie haben Parkas an und spielen in Bands. Die Mädchen arbeiten bei den Medien, und wenn man sie fragt, ob sie betrunken sind, antworten sie nicht, sondern fallen um. Am Fenster stehen Studenten, unterhalten sich über Drogen-Cocktails und schauen auf den Alexanderplatz. Fast jeder hier ist Deutscher.

Geschmolzenes Glas gibt es im Haus des Lehrers nicht, dafür türmen sich die Bierflaschen in den Ecken des Raums, der nicht beleuchtet ist. Hier gibt es keine Formen. Der richtige Ort also, sich über ihre Verbindlichkeit zu unterhalten.Blu, jeden Tag, ab 21 Uhr, Marlene-Dietrich-Platz