Es spukt auf dem Schloßplatz

■ Eine Stadtführung erzählt von den schaurigen Mären im alten Berlin. Eine Frau spukte einst durchs Stadtschloss, und ein Todgeweihter entging seinem Schicksal durch Würfelglück

Wenn die Weiße Frau erscheint, dann naht der Tod: Niemand Geringeres als die Hohenzollernfürsten mitsamt den Berlinern ängstigten sich vor dem schrecklichen Wesen im fadenscheinigen Hochzeitsgewand. Denn die Dame zeigte sich im Schloss immer im Jahr 40 eines Jahrhunderts – mit schwarzen Handschuhen –, und immer starb darauf ein Oberhaupt der edlen Familie.

Wo einst die Dame spukte, da steht heute im Herzen der Stadt kein Schloss mehr, und statt Kurfürst oder König regiert nun nebenan im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude Bundeskanzler Schröder. Doch mitten in der Metropole, zwischen vierspurigen Straßen und Videowänden, werden in dunklen Mondnächten nun Gruselgeschichten aus längst vergangener Zeit wieder lebendig.

„Schaurige Mären im alten Berlin“ heißt eine neue Stadtführung, bei der Freunde gräulicher Geschichten voll auf ihre Kosten kommen. Des Teufels Machenschaften ebenso wie kurfürstliche Gottesurteile und Ganovengeschichten waren die Top-Nachrichten, die sich im alten Berlin wie Lauffeuer verbreiteten. Nicht alles, was seit langer Zeit erzählt wird, dürfe man für bare Münze nehmen, meint Stadtführer Armin Woy vom Verein pluspunkt e. V.: „Aber einen wahren Kern hat jede Geschichte.“

Jene Weiße Frau zum Beispiel soll eine Gräfin von Orlamünde gewesen sein – die schöne Frau wollte einst den Burggrafen heiraten. „Ich würde dich heiraten, wenn vier Augen nicht wären“, sagte dieser und meinte damit seine Eltern. Sie dachte, ihre beiden Kinder wären der Ehe im Wege. „Da stach sie ihnen Nadeln in die Köpfe und sie starben.“ Das brachte sie nicht vor den Altar, sondern in den Kerker – und später zu den Hohenzollern als Schlossgespenst.

Wo einst der Neue Markt mit seinen engen Gassen lag, ist heute der grüne Park des Marx-Engels-Forums. Hier ergötzte sich früher der Mob an schrecklichen Foltern und Hinrichtungen. „Delinquenten“, die zuvor mit Hilfe glühender Zangen der Zauberei überführt worden waren, wurden hier grausam getötet. Erst wurden ihnen mit einem Wagenrad die Knochen zerschmettert, dann wurden sie gevierteilt. Die auf Lanzen geflochtenen Überreste stellte man zur Abschreckung an die Stadttore.

Die moderne Stadt hat nicht viel übrig gelassen von den alten Schauplätzen grausigen Geschehens. Doch neben dem Neuen Markt steht heute noch die Marienkirche, die von Geschichten über den Teufel als Mörder des Kirchbaumeisters und dem wütenden Mob als Totschläger des Dompropstes zeugt.

Auch eine Küsterstochter wurde hier dereinst von einem eifersüchtigen Verehrer erstochen. Der bezichtigte den Liebsten der Toten des Mordes – doch ein Gottesurteil des Kurfürsten brachte den wahren Täter zur Strecke.

Damals mussten Würfel über die Wahrheit entscheiden. Beide Männer bekamen zwei davon. Der Verehrer würfelte zwei Sechsen, die Menge stöhnte auf, das Schicksal des anderen schien besiegelt. Doch dann warf dieser – und einer der beiden Würfel zersprang in zwei Hälften. So zeigten drei Flächen ihren Wert: Zwei Sechsen und eine Eins retteten den Mann vor dem Tod.

Um die alten Kirchen in Berlins Mitte rankt sich manch schreckliche Geschichte. So wurden dem Uhrmacher des Glockenspiels für die Parochialkirche kurzerhand die Augen ausgestochen, damit er kein schöneres Werk für andere Kirchen mehr tun könne. Doch der schlaue Mann ersann Rache. „Nur einmal noch will ich zu meinem Glockenspiel“, bat der Blinde. Geführt von einem Gesellen bestieg er den Turm. Die Glocken klangen, herrliche Töne strömten aus Löwenmäulern auf die Gassen. Da drehte der Uhrmacher blitzschnell an einem kleinen Rädchen. Und brachte sein Kunstwerk für immer zum Schweigen.

Katja Bauer, dpa