Ohne Physis fehlt auch die Psyche

Nach dem Verpassen des EM-Halbfinales sucht Bundestrainer Brand Erklärungen für die Verunsicherung seiner Handballer

Zagreb (taz) – Der strahlende Sonnenschein und die klare, kalte Luft über dem winterlichen Zagreb laden ein zum tiefen Durchatmen und dazu, die Geschehnisse des Vorabends in weite Ferne rücken zu lassen. Die deutsche Handballnationalmannschaft tat gut daran, einmal tief Luft zu schöpfen, bevor sie um 8 Uhr morgens den Bus bestieg, um sich zum zweiten Vorrundenspielort ins 200 km entfernte Rijeka aufzumachen. Katerstimmung herrscht bei den Spielern wie im Stab der Trainer, Betreuer und Funktionäre. Nach dem 19:25 am Sonntag gegen Frankreich blieb man mit nur einem von sechs möglichen Punkten aus den ersten drei Spielen deutlich hinter den Erwartungen zurück und hat bereits keine Chancen mehr auf das Halbfinale.

Auch Trainer Heiner Brand, sonst als hemdsärmliger Realist bekannt, musste zugeben: „Gegen die Franzosen ist es noch schlimmer gekommen, als ich befürchtet hatte. Wir waren nicht in der Lage, einfachste taktische Dinge umzusetzen.“ Verzweiflung schwingt in der Stimme von Brand: „Da kommt ein Spieler frisch von der Bank und fängt den Ball nicht. Unser Torwart hält einen Gegenstoß, und wer steht zum Abpraller bereit? Drei Franzosen!“

Bislang wurden Krankheits- und Verletzungspech als Erklärung herangezogen, nun sucht Brand nach anderen Gründen für das von Verunsicherung und Halbherzigkeit geprägte Spiel seines Teams: „Man kann immer mal verlieren. Mit der Leistung im Kroatienspiel war ich sogar recht zufrieden, doch über die Haltung des ein oder anderen muss ich mir schon noch einige Gedanken machen.“ Fakt jedoch bleibt, dass ohne eine gesunde Physis sich weder Spielintelligenz umsetzen lässt noch Spielfreude aufkommen kann, all das, womit die Deutschen bei der EM 1998 die Bronzemedaille gewannen. Und die Physis fehlt.

Immerhin die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Sydney ist durch Platz fünf bei der letztjährigen WM bereits gesichert. Allerdings: Die vor der EM als Minimalziel ausgegebene Direktqualifikation für die WM 2001 in Frankreich und die EM 2002 ist nun hochgradig gefährdet. Dazu müsste man noch Platz fünf schaffen – bei der momentanen Form ein aussichtsloses Unterfangen. Coach Brand stellt sich bereits auf die Qualifikation im Herbst ein. Die Spieler wollen wenigstens an einem versöhnlichen Abschluss arbeiten. Torhüter Jan Holpert: „Wir müssen jetzt alles rausholen, was in den letzten Spielen noch drin ist. Wir wollen selbst sehen, welche Substanz noch in unserer Mannschaft steckt. Das sind wir uns und vor allem unseren tollen Fans schuldig.“ Anke Barnkothe