„Sie verleugnen doch Ihren Vater auch nicht“

■ Hildegard Müller, Vorsitzende der Jungen Union, sieht auch nach dem Bericht der Wirtschaftsprüfer noch Aufklärungsbedarf in der CDU

taz: Frau Müller, Sie arbeiten in einer Bank. Bekäme der Schatzmeister der CDU einen Kredit, wenn er Sie darum bitten würde?

Hildegard Müller: Das kommt auf die Sicherheiten an.

Welche hat die CDU denn noch zu bieten?

Das müsste ich mir im Einzelnen anschauen.

War Ihnen der Blick in den Rechenschaftsbericht, in die Einkünfte und Ausgaben der Partei, in ihr Vermögen bisher nicht möglich?

Möglich war es schon. Es zählte bloß nicht zur spannendsten Lektüre – bisher. Ich gehe davon aus, dass sich künftig alle Mitglieder intensiver mit den Rechenwerken beschäftigen.

Sie haben heute von den Wirtschaftsprüfern Einblick bekommen in die Buchhaltung der Bundes-CDU seit 1993. Sind Sie zufrieden?

Nein, ich finde unbefriedigend, was herausgekommen ist. Es bleibt der Auftrag zur Aufklärung. Wir müssen hinnehmen, dass wir nicht viel weiter gekommen sind.

Wissen Sie nun im Detail, wie die offiziellen CDU-Konten und die verdeckten Konten von Horst Weyrauch aussehen?

Ich glaube es zu wissen.

Wie können Sie zur Offenlegung beitragen?

Indem ich mich massiv dafür einsetze.

Indem Sie zum Beispiel, wie Ende letzten Jahres, nach Schweizer Konten fragen – und eine falsche Antwort erhalten?

Ich habe lernen müssen, dass ich einige Fragen am nächsten Tag neu stellen muss. Der Sachstand ändert sich fast täglich. Das ist eine Folge der Wahrheitssuche. Es darf deshalb keine Atmosphäre des Misstrauens entstehen. Wo wir Hinweise haben, werden wir ihnen nachgehen.

Wird man die Herkunft der Spenden jemals nachvollziehen können?

Wir werden es weiter versuchen. Vielleicht müssen wir uns damit abfinden, dass wir es nie ganz nachvollziehen können. Aber das macht unsere politische Ausrichtung nicht hinfällig.

Glauben Sie, dass die Partei die Kraft zu diesem Spagat hat: Aufzuklären, ohne alles herauszufinden, und gleichzeitig eine Politik anzubieten, für die sich im Moment niemand interessiert?

Wer die CDU auf elf Millionen Mark reduziert, deren Herkunft nicht nachweisbar ist, macht einen großen Fehler. Immerhin braucht die Regierung in diesem Land eine Opposition. Niemand tut den Menschen einen Gefallen, wenn er unsere Vorschläge zur Steuer-, zur Bildungs- oder zur Rentenpolitik überhören will. Wir als CDU werden jedenfalls nach dieser Affäre einen politischen Neuanfang machen. Unser Grundsatzprogramm und unsere politischen Inhalte bleiben richtig.

Wann ist es Zeit, auf den Namen CDU zu verzichten?

Gar nicht. Wir werden uns nicht von der Vergangenheit und schon gar nicht von der Identität der CDU lösen. Deswegen haben wir am letzten Dienstag bei der entscheidenden CDU-Vorstandssitzung gesagt: Die CDU ist nicht Helmut Kohl allein. Wir akzeptieren nicht, was er tut. Unsere Grundsätze stehen über seiner Person.

Für einen Außenstehenden hat die Trennung von Kohl unerträglich lange gedauert.

Sie verleugnen auch nicht ihren Vater, wenn er gegen das Recht gehandelt hat. Da bleibt immer eine innere Verwobenheit.

Am Sonntag hat ein Anonymus Kohl die Bereitschaft in den Mund gelegt, die Namen der Spender vor einem „hochrangigen Gremium“ zu nennen. Das war eine Fälschung. Dennoch: Wäre das Ihrer Ansicht nach eine Lösung?

Es wäre ein Chance gewesen. Aber auch das hätte keine ausreichende Transparenz für die Öffentlichkeit gebracht. Wir wollen Klarheit. Umso bedauerlicher finde ich es, dass er die Namen nicht preisgibt.

Haben Sie selbst schon einmal eine Spende in bar auf die Hand bekommen?

Ja, ein paar Mark als Vorsitzende im Ortsverband. Die habe ich ganz normal in der Geschäftsstelle verbucht.

Was heißt ein paar Mark?

100 Mark für Blumensträuße. Jedenfalls unterhalb der Veröffentlichungsgrenze.

Als Bankangestellte kennen Sie das Geldwäschegesetz. Sie wissen, dass bei Barspenden die Herkunft des Geldes verschleiert werden kann. Als Parteimitglied nehmen Sie solche Spenden an. Wie kann es sein, dass man Wissen so trennt?

Ich wusste nichts von Geldkoffern. Ich selbst habe Spenden in dieser Höhe nicht angenommen, und auch die Junge Union Deutschlands nicht. Schon gar nicht in bar.

Es ist Ihnen vollkommen unbekannt, was in der Union gang und gäbe war? Dass von außen Geld in bar entgegengenommen wurde, ja, dass sogar innerhalb der Partei große Beträge in Koffern transferiert wurden?

Ja, es gab offenbar offizielle und inoffizielle Dinge. Mir waren die inoffiziellen wie Bargeldübergaben nicht bekannt.

Wir war Ihre erste Reaktion, als Sie davon erfuhren?

Ich war entsetzt. Und je tiefer man in den Prozess der Offenlegung hineinkam, desto mehr Fragen stellte man sich, wie so etwas geschehen konnte.

Wie kann man sich das vorstellen in einer Partei: Niemand fragt nach, woher dieses Geld kommt? Einem Generalsekretär wird gesagt: Du kümmerst dich um alles, bloß nicht um die Einnahmen?

Es war im Statut geregelt, dass zwischen Generalsekretariat und Schatzmeisterei eine Trennung bestand. Das hat sich als falsch herausgestellt, daraus müssen wir lernen.

Ihre Partei hat reihenweise gegen das Gesetz verstoßen. Sind Sie deswegen einmal an den Punkt gekommen, an dem Sie sagten: Nie wieder CDU?

So viel Wut ich auch habe. Es waren einzelen Personen, nicht die Partei. Das Gesetz ist gebrochen worden. Dafür finde ich keine Entschuldigung, und ich will das in Zukunft verhindern.

Wie wollen Sie das verhindern in einer Partei, die sofort nach der Flick-Affäre, als direkte wie auch indirekte Zahlungen verboten wurden, Geld in noch größeren Summen in die Partei geschleust hat – ohne sie zu deklarieren?

Das ist nicht so. Wir haben, ich weiß es nicht genau, eventuell 50 Millionen Mark nachzuzahlen. Es sind Dinge falsch gelaufen, die muss man identifizieren und abstellen. Eine ganz andere Frage ist, wie man innerparteiliche Transparenz und Demokratie schafft.

Ja, wie?

Indem auch ich lerne, Dinge zu hinterfragen, stärker nachzubohren. Indem in den Vorstandsgremien intensiver diskutiert wird.

Herr Schäuble sagte, er hätte sich in der Sitzung des Präsidiums am vergangenen Dienstag zum ersten Mal wie in einer Gemeinschaft gefühlt. Was hat er damit gemeint?

Es war eine beeindruckende Sitzung, weil wir erkannten: Es gibt für uns nur diese gemeinschaftliche Form des Handelns. Zusammenhalten und Kohl auffordern, die Namen zu nennen oder aber den Ehrenvorsitz ruhen zu lassen.

Nur eine verschworene Gemeinschaft kann sich von Kohl trennen?

Man muss sich vorstellen, dass da ganz viele Leute waren, die über Jahrzehnte biografisch mit Helmut Kohl verwoben waren. Für die war diese Aufforderung keine leichte Entscheidung – auch wenn sie sachlich richtig war. Die ganze Partei brauchte ihre Zeit, um nachzuvollziehen, dass die Ära Kohl endgültig vorüber ist.

Welche Rolle spielt Parteichef Schäuble in diesem Prozess?

Er hat eine schwere Aufgabe. Die Partei erwartet, dass er aufklärt, aufdeckt – gleichzeitig sind ihm in seinen Vorgängern Grenzen gesetzt. Die Dinge sind im Fluss.

Sie gehen davon aus, dass Schäuble nach dem Parteitag nicht mehr Vorsitzender ist?

Diese Frage stellt sich für mich heute nicht.

Finden Sie persönlich, dass er der richtige Vorsitzende ist?

Schäuble hat heute meine volle Unterstützung. Auch in diesem Aufklärungsprozess.

Vor allem für junge Leute, die keine Lust haben, jedem Detail ihrer Affäre nachzugehen, ist die gesamt Parteiführung diskreditiert. Wie will die JU-Vorsitzende die Jungen zurückgewinnen?

Ich möchte natürlich eine Verjüngung, und mir ist auch die personelle Veränderung 1998 nicht weit genug gegangen. Ich hoffe, dass sich da auf dem Parteitag im April etwas tut.Interview: Christian Füller
Karin Nink