Das Geheimnis der Kante

■ Durch ein Prisma sieht die Welt ganz anders aus. Eine Ausstellung zeigt jetzt, wie man Regenbögen auf einem Schwarz-Weiß-Druck entdecken kann

Herrenboutiquen sind blöd. Manchmal verspüre ich einen regelrechten Hass auf sie. Überall ist es da grau: Lichtgrau, mattgrau, hellgrau, anthrazit, dunkelgrau, mischgrau, graugrau und gräuslich grau. Nur an den Ständern mit der teuren Frühjahrsmode flimmert ein biss-chen Aubergine. Doch einen Vorteil hat dieses Grau in Grau: Man ist vor Goethe sicher.

Sollten Sie, werter Leser, nicht mit der Männermode gehen und heute Morgen beim Anziehen zum gelben Pullover gegriffen haben, hätte Goethe nur ein Wort für Sie übrig: „Bonvivant.“ Ihr Purpur (oder Magenta) betuchtes Gegenüber am Frühstückstisch würde der Dichter und Denker als „Herrscher“-Typ einstufen. Aber bei den von Goethe und seinem farbpsychologischen Co-Autor Friedrich Schiller entwickelten Zuordnungen sind Nuancen entscheidend: Zwischen der Seelenkraft „Herrscher“ (Purpur) und dem „Philosophen“ (Violett) residiert der unfreundliche Typ „Pedant“.

Solche Einstufungen werden heutzutage mindestens angezweifelt oder sogar belächelt. Trotzdem erinnert das Bremer Design-Zentrum im Wilhelm-Wagenfeld-Haus kurz nach Ende des Goethejahrs mit einer ganz erfrischend gestalteten Ausstellung an die Farblehren des Herrn Geheimrat. Die in Bremen lebende Kuratorin Katerina Vatsella und der Weimarer Hochschullehrer Wolfgang Sattler haben die Schau namens „Pfirschblüt & Cyberblau“ – im Goethejahr – für das Design-Zentrum Thüringen konzipiert. Von dort ist sie jetzt nach Bremen importiert worden.

Eine Art Ehrenrettung hatten Vatsella und Sattler bei der Ausstellungsgestaltung im Sinn. Goethe sei in seiner Uneitelkeit zwar Irrtümern aufgesessen. „Aber“, so Katerina Vatsella, „in vielen Bereichen war Goethes Farbenlehre wegweisend.“ Im sehr gut aufbereiteten Katalog sind diese Wegweisungen zusammengefasst: Der von ihm entwickelte Farbkreis war „von frappierender Farbrichtigkeit“, er erkannte und positionierte die Komplementärfarben, und er sah die Kantenspektren.

Eben diese Kantenspektren sind gewissermaßen ein „Highlight“ der Ausstellung. Wohl didaktisch, aber nicht belehrend (Lehrer = Mischung aus Blau und Violett), setzt sie auf das Erlebnis Farbe. Alle BesucherInnen können und sollten sich am Eingang mit einem Prisma ausrüsten und sehen so, dass eine schwarze Kante durch das Glas betrachtet in Regenbogenfaben aufbricht.

Das Spiel mit Illusion und Realität wird an anderen Stellen der Ausstellung weitergetrieben. Bei einer Licht- und Toninstallation etwa sind Klang- und Farbveränderungen nur scheinbar harmonisiert. Unsere Wahrnehmung bastelt sich häufig zusammen, was gar nicht zusammen gehört. Zu diesen Verwirrungen haben Vatsella und Sattler eine interaktive Präsentation von Goethes Farbkonzept sowie Beispiele gesellt, wie DesignerInnen und ArchitektInnen heute Farbe einsetzen. Und all das ist alles andere als textlastig. Wer mehr wissen will, kann den Katalog lesen. Selten ist die Arbeitsteilung Ausstellung und Katalog so konsequent und gelungen wie bei dieser Schau.

ck

„Pfirschblüt & Cyberblau – Goethe. Farbe. Raum“ bis zum 24. April im Wilhelm-Wagenfeld-Haus, Am Wall 209. Katalog mit CD-ROM 36 Mark.