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Musik für gutherzige Menschen

■ Justus Frantz kann einfach kein Ende finden. Drei Stunden lang spielten er und seine Philharmonie der Nationen Friedensmusik

Seit zehn Jahren verwaltet und leitet Justus Frantz nun die „Philharmonie der Nationen“, dieses „Vermächtnis von Lennie Bernstein“. Dieser nämlich hat Justus Frantz – beim Fall der Mauer, kurz bevor Bernstein starb – gesagt, Musikmachen tauge zum Friedensdienst. Das war 1989, als sich der unrühmliche Abgang des Intendanten Justus Frantz vom Schleswig-Holstein Festival bereits abzeichnete – wegen Misswirtschaft. Seither setzt der Allround-Künstler Frantz seine ganze Kraft in dieses nicht-subventionierte Orchester, in dem wirklich alle Nationen vertreten sind. Allererste Kräfte sind darunter – wie auch jetzt wieder im gut besuchten Konzert in der Glocke zu hören war.

Da spielt einer der ersten Geiger mit ungarischer Bravour mal so dazwischen den ersten Satz von Tschaikowskis Violinkonzert, die Harfinistin ein schönes Tschaikowski-Solo und ein zweiter Geiger legt ein rasantes Dirigat mit Katchaturians „Säbeltanz“ hin. Dass er dabei sein Instrument dem Maestro übergibt, der mitmimt, begeistert das Publikum – das zugleich erfährt: Der junge Mann komponiert auch. Als Kind hat er mit Straßenmusik Mama und Papa ernährt. Man kann nur hoffen, dass er mit Frantz' leutseligem Ausplaudern solcher Intimitäten einverstanden ist.

Überhaupt kann Frantz das Plaudern nicht lassen – und der anspruchslose Dünnschiss, der da fachlich kommt, gefällt dem Publikum. Es gelingt Frantz hervorragend, ans Herz zu appellieren – „wir brauchen gutherzige Menschen“ – und davon zu überzeugen, dass er mit dem Publikum eine gemeinsame, ganz große Sache macht. Die Werbung kann man als gut bezeichnen, aber man kann sie auch aggressiv nennen. Frantz nötigt das Publikum zu Ovationen und zum Aufstehen, indem er schon vorher ankündigt, wie begnadet der junge Künstler sei. Und alle folgen dem Strahlemann begeistert. In der Pause werden nicht nur CDs verkauft, sondern auch Preisausschreiben gemacht, mit denen man einen Aufenthalt in Frantz' Finca in Gran Canaria gewinnen kann – „hier werde ich ein anderer Mensch“. Man kann auch ein Teil dieser Finca mieten und Frantz-Marmelade, Frantz-Wein, Frantz-Nüsse und Frantz-Eier – natürlich von glücklichen kanarischen Hühnern – verzehren. Und am Ende soll man seine Visitenkarte abgeben zwecks weiterer Werbung. Da ist die Kumpelei schon so dick geworden, dass es peinlich wird, das nicht auch zu tun. Aber eigentlich sollte ich über ein Konzert berichten.

Das wichtigste Werk war die vierte Sinfonie in e-Moll von Johannes Brahms, dessen Hauptthema Kritiker unter Führung von Hugo Wolf einst skandierten: „Ihm fällt – schon wieder mal – nichts ein.“ Eine wahre Fusselarbeit ist die strukturelle Durchdringung dieses Stücks, der sich Frantz mit Erfolg entzog. Ein Jammer um die Klasse-MusikerInnen, wie grob und wie laut sie zu spielen genötigt wurden. Da fehlte jedes Geheimnis zugunsten einer äußerlichen Bombastik, da fehlte Atem, alles wurde so forciert, dass inhaltliche Steigerungen kaum möglich waren. Wäre doch der erste Cellist tätig geworden, den Frantz sein künstlerisches Gewissen nannte. Aber Demokratie gibt es kaum in der Musik, auffällig jedenfalls war die Diskrepanz zwischen einem wild engagierten Vorsichhin-Musizieren und der anschließenden gleichgültigen Verbeugung.

Da für Frantz „die Zeit ganz schnell verging“, war das Orchester um elf immer noch am Spielen, donnerte „Kaiserwalzer“ und „Radetzky-Marsch“ von Strauß und „Pomp and Circumstances“ von Elgar, jenes krach-knall-bumm Paradestück der englischen „Night of the Proms“, der Frantz seine diesjährige Konzerttournee widmet. Fleißig sind sie: Vier Programme in 31 Konzerten in knapp drei Monaten (davon eines wieder am 22.3. in Bremen). Vielleicht ein wenig zu fleißig, um das eigene Tun noch einmal zu reflektieren.

Ute Schalz-Laurenze

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