Wiederbelebung alter Rivalitäten

Die reißerisch-falsche Berichterstattung der „BZ“ über eine vermeintliche Jugendgang in Moabit und deren Hass auf arabische Jugendliche aus dem Wedding konterkariert die Jugendarbeit vor Ort ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Bis zum Donnerstag vergangener Woche war die Welt im Jugendfreizeitheim „Heinrich Zille“ in Moabit noch in Ordnung. Türkische, arabische und deutsche Jugendliche kickerten in den Räumen in der Rathenowstraße, andere stählten ihre Muskeln im Fitnessraum. Als jedoch die BZ über die „Moabit-21-Boys“ berichtete, eine vermeintliche Straßengang, die sich regelmäßig dort treffe, hat die niederschwellige Jugendarbeit einen Dämpfer bekommen.

Unter dem Titel „Je mehr wir über sie wissen, desto weniger müssen wir sie fürchten“, wurde in dem Springerblatt das Bild von 15- und 16-jährigen Türken gezeichnet, die „vor nichts und niemanden Angst haben“ und „den Kick beim Kämpfen“ lieben: „Jeder, der uns schief anguckt, kriegt unsere Fäuste zu spüren.“ Unter dem Stichpunkt „Ihre Feinde“ hieß es: „Nazi-Kids und arabische Nachbar-Gangs aus Wedding“.

Mitarbeiter und Jugendliche des Freizeitzentrums rieben sich erstaunt die Augen. Weder ist in der Einrichtung eine Straßengang bekannt, noch werden dort Jugendliche betreut, die Hassgefühle gegen andere Nationalitäten haben. In der Hausordnung heißt es klipp und klar, dass das Haus für alle Kulturen und Bevölkerungsgruppen geöffnet ist und Diskriminierungen nicht geduldet werden. Nur zwei Jugendliche von dem Foto, ein Türke und ein Araber, schauen gelegentlich im offenen Kinderbereich im Erdgeschoss vorbei. Auch bei der Polizei und „Gangway e.V.“, dem größten Streetwork-Projekt der Stadt, nahm man die Berichterstattung überrascht zur Kenntnis. Denn seit Mitte der 90er Jahre sind Straßengangs in Berlin kein Thema mehr und von den „Moabit-21-Boys“ weiß niemand.

Doch gedruckt ist gedruckt. So erhielt Heinz Klare von „Bildungsmarkt e. V.“, dem freien Träger, der die Freizeiteinrichtung betreibt, einen Tag später einen Anruf. „Seid Ihr das Zille Haus?“, fragte eine jugendliche Stimme. Dann drohte sie: „Wir kommen und kloppen alles zusammen.“ Klars Versuche, dem Anrufer klarzumachen, dass er die „Moabit-21-Boys“ nicht kenne und diese sich auch nicht im Zille-Haus treffe, fruchteten nichts. „Das ist egal“, lautete die Antwort.

Wenige Stunden später standen zehn Jugendliche, sieben Mädchen und drei Jungs, aus Wedding und Schöneberg vor der Tür der im gleichen Haus untergebrachten bezirklichen Kinderfreizeiteinrichtung. „Sie wollten wissen, wieso die Moabiter gesagt haben, wir seien ihre Feinde“, erzählt die 18-Jährige Hadra. Kurz darauf tauchte eine zweite Gruppe Jugendlicher aus dem Wedding auf. Auch diese verschwand nach wenigen Minuten, weil die Einrichtung geschlossen war. „Einige Jugendliche ziehen sich seit der falschen Berichterstattung zurück“, so Hadra weiter.

„Das ist eine reine Erfindung der BZ“, schimpft eine Mitarbeiterin von „Gangway“. Sie weiß von den Jugendlichen, dass der BZ-Fotograf den Jugendlichen einhundert Mark gezahlt hat, damit sie sich in Pose stellen. Zudem soll der Fotograf – mit dem passenden namen Tollkühn – versichert haben, in fünf Minuten da zu sein, „wenn es eine Schlägerei gibt“. Auch Jutta von Döllen von der Zentralstelle für Jugendsachen des Landeskriminalamtes stellt klar: „Das ist ein künstlich herbeigeredetes Problem, Jugendgangs sind aus der Mode.“

Die Mitarbeiter von „Bildungsmarkt“, die seit vier Jahren mit dem Schwerpunkt „keine Gewalt“ arbeiten, nehmen die Sache ernst, ohne aber Panik zu machen. „Das schürt künstliche Konflikte, die nicht vorhanden sind“, sagt Betriebsstättenleiter Heinz Klare. „Ehre spielt bei vielen Jugendlichen eine große Rolle, das kann schnell eskalieren“, ergänzt der Erzieher Cengiz Tauriverdio. Die Zeiten, in denen es Probleme zwischen rivalisierenden Straßengangs gab, die zum Teil rund um das Zille-Haus ausgetragen wurden, liegen zehn Jahre zurück. „Das sind tief begrabene Rivalitäten zwischen den Black Panthers aus dem Wedding und den Bulldogs aus Moabit“, weiß Horst Späth, der Leiter des Kultur- und Freizeitbereichs. Heute erinnert nur noch ein Wandbild mit zwei riesigen Bulldoggen darauf an diese Zeiten.

Das Bezirksamt will derzeit keine Auskünfte geben. Amtsleiter Erich Kramme von der Jugendförderung räumt zwar ein, dass die Aussagen der Jugendlichen „in einem krassen Widerspruch“ zu der Veröffentlichung stünden. Aber: „Wir möchten der BZ die Gelegenheit geben, das gerade zu rücken.“ Geplant sei ein Runder Tisch mit allen Beteiligten.