Cooles Wissenin Dauerkrise

■ Schluck! „Spex“, das Traditionsorgan der Popweltanschauung, wurde an einen Münchener Verlag namens Piranha verkauft

Viel war in den letzten Wochen von der „Zukunft der Popmusik“ die Rede; um Songs und Samples im neuen Jahrtausend ging es da, um deutschen HipHop und Mp3, um neue Märkte und alte Hörer, alte Stars und (zu wenig) junge Fans. Geradezu beleidigend unbeachtet blieb dabei die Situation des Kölner Popkulturmagazins Spex, einer Zeitschrift, ohne die sich wohl viele Leute in Deutschland niemals Gedanken über Pop oder die Zukunft von Pop gemacht hätten. Im November boten die vier Herausgeber Diedrich Diederichsen, Tom Holert, Jutta Koether und Wolfgang Tillmans (bis auf Tillmans, dem Star-Fotografen, allesamt ehemalige Redakteure und aktuelle Spex-Großautoren) ihr Blatt zum Verkauf an, „aus 1.000 privaten und sonstigen Gründen“, wie es in einer kleinen Mitteilung auf der Leserbriefseite hieß.

Anfang des Jahres war es dann so weit, der nicht gerade einschlägig bekannte Münchener Piranha-Verlag machte das Rennen (so es denn eins war): Die bis dato fast zwanzig Jahre „unabhängig“ agierende Spex befindet sich ab sofort in einem Verlagsumfeld, das aus den Magazinen Piranha (Funsport), Juice (HipHop), Hollywood (Kino) und dem Burger-King-Magazin (Whopper) besteht. Ein Umfeld, das langjährige Leser und sicher auch manche Autoren nur schwer mit der theorielastigen und kulturkritischen Spex in Verbindung bringen können und wollen; das aber auch folgerichtig für die Entwicklung des einstigen Magazins für „Musik zur Zeit“ und seiner Probleme im letzten Jahrzehnt steht.

Die ganzen Achtziger über war alles noch ganz einfach: Da gab es ein paar Musikzeitschriften, und es gab Spex; die einen waren Mainstream und gaben Tipps und Produktinformationen, die Spex war Underground und versuchte Poptheorie, cooles Wissen und Weltanschauungen zu vermitteln. In den besten Texten des Blattes gelang das anhand eines Songs, eines Albums oder einer Band. Wer die Spex las, hatte einen bestimmten Musikgeschmack, der sich wiederum deckte mit einem Faible für bestimmte Bücher, Filme und politische Einstellungen (die sich gleichzeitig Willy Brandt, Rolf Dieter Brinkmann, dem Merve-Verlag oder Tempo verdankten).

Mit der Wende, den Ereignissen in Hoyerswerda und Lichtenhagen und Diederichsens sich anschließendem Text „The Kids are not allright“, mit Nirvana, Techno und Snoop Doggy Dogg veränderten sich auch die Rahmenbedingungen für die Spex. Den eindeutig politisch korrekten Underground der Achtziger gab es nicht mehr, die klaren Grenzen zwischen Mainstream und Undergound auch nicht, die Welt wurde verbunden und verkleistert mit MTV und Duck-Tape, und sowie sich irgendwo in irgendeinem Undergound etwas regte, wurde es sofort von Gott und der Welt entdeckt, vereinnahmt und kommerzialisiert. Wo alles zu Pop geworden war, ließ es sich nur noch schwer positionieren, und Zeitungsneugründungen wie Die Beute, Jungle World, de: Bug oder auch der deutsche Rolling Stone machten es der Spex auch nicht gerade leichter: Die Auflage sank kontinuierlich; wurden noch bis Mitte der Neunziger im Schnitt 20.000 Exemplare verkauft, so lag die Verkaufsauflage im dritten Quartal des Jahres 1999 bei gerade mal 11.000, und mehrere Relaunches und Redaktionsumbesetzungen wiesen auf die Rat- und Orientierungslosigkeit innerhalb der Spex hin. Sie saß zwar immer noch im Chefsessel, reagierte aber nicht mehr.

Immerhin schaffte es der im November 1998 berufene Chefredakteur Dietmar Dath, der Spex noch einmal ein neues altes Gesicht und eine Linie zu geben. Allein mit seinen ausschweifenden Editorials, Leserbriefantworten und Anmoderationen hielt er den Laden zusammen. Gleichzeitig ging es ihm mit Essays, Themenläden und einem noch stärkeren Kulturteil vor allem um „Sachen, die nicht unbedingt am neuesten Hammer aus Nordmissouri aufgehängt werden müssen“.

Dath nun verkündete gleichzeitig mit dem Verkauf an Piranha seinen Rücktritt – allerdings nicht, weil er mit Verkauf und Wahl des Verlages nicht einverstanden war: Er habe sowieso nur bis zum Sommer bleiben und möglichen Neuerungen nicht im Wege stehen wollten. Da äußert Piranha-Verleger Alex Lacher zwar schon mal, dass man sich einen Chefredakteur mit besseren Kontakten zur Musikindustrie wünsche, doch so was ficht Dath nicht an: „Ist ja nicht das Schlechteste, wenn einem nachgesagt wird, nicht so gut mit der Industrie zu können.“

Ein wenig deutet sich aber in solchen Stellungnahmen schon an, wo die Bruchstellen liegen. Während Dath („Noch eine Musikzeitung, die braucht kein Mensch, das würden die schnell merken“) und auch die bis auf Dath geschlossen weitermachende Spex-Redaktion (Redakteur Uh-Young Kim: „Der Lacher ist seit Jahren Spex-Leser. Heft für Heft wird sich erweisen, was da Sache ist“) eher gelassen die Dinge kommentieren oder auf sich zukommen lassen, hat der 35-jährige Piranha-Verleger Alex Lacher schon einige Veränderungen angekündigt: „Mehr Musik, bessere Optik, weniger Blei“. Das klingt nach Spex ultra light, denn dass die Grundlage der Spex Musikgeschichten waren und Acts wie Depeche Mode, Prodigy oder Moses P aufs Cover gehörten, wussten auch die alten Herausgeber. Auf die oft nicht leicht zu lesenden Bleiwüsten haben sie trotzdem nicht verzichtet. Abzuwarten bleibt, ob die jetzige Spex-Redaktion das Format hat, einem marktwirtschaftlich orientierten Verleger die Stirn und das Blei zu bieten. Eine Zukunft mit Popmusik und ohne die Spex jedenfalls ist, bei allem Wissen bei uns Ãlteren um die sentimentalen Verbundenheiten, immer noch nicht vorstellbar – zumal Vergleichbares weit und breit nicht in Sicht ist.

Gerrit Bartels