Schlagloch
: Arsch gegen Vernunft

Von Friedrich Küppersbusch

Beim Rheumadeckentag der BremerCDU stöhnt es„Helmut, halt durch“

„Ich bedaure Sie, dass Sie hier bis nachts um zwei ausgeharrt haben, aber ich werde jetzt hier trotzdem nichts den Medien sagen.“ Kurt Biedenkopf zu Journalisten am Morgen des 23. Januars in Berlin.

„Ehrenwort“ sei aber „Maschendrahtzaun“, Herzog und Tietmeyer sind die putzigen Corega-Tubbies der Union, und Rollin’ Woll Schäuble lässt es in der 100.000-Mark-Show so richtig krachen. Fossil Dregger („Alfredissimo“) und hintendrauf Prösterchen, Rüttgers Club und Carstens SC, na ja, noch gilt in Deutschland die Trennung von Werbung und Pogrom. Soll ja in Italien ein Quotenbringer gewesen sein, wie sich Christdemokraten haargenau in drei possierliche Splitterparteien zerlegen.

Das dicke Ende kommt. Des Dicken Ende kommt. Spendenstuss und Sendeschluss, Deckel drauf und aus. Fahren Sie mit uns in Deutschlands schönste Hansestädte, nutzen Sie die Gelegenheit zum Einkauf, Teilnahme an einer Werbeverkaufsveranstaltung mit Helmut Kohl, bekannt aus Funk und Fernsehen, freigestellt. Gegen Aufpreis schreibt der beliebte Beleibte irgendeinen Quatsch auf ’ne Quittung, geht aber auch ohne, ein vergessliches Erlebnis mit dem unvergessenen Dingens, wie hieß er noch.

Bild am Sonntag bilanzierte bereits die Medienkarrieren der Beteiligten. Friedrich Merz hätte mehr tun können. Wulff kommt gut, Rüttgers hat sich selbst schwindlig geeiert, getanzt, geeiertanzt, Merkel sei die heimliche Gewinnerin. Schäuble aber nicht. Nach dem „Übergangsmann“ wurde gesucht, dabei ist er das seit und wegen dieser Erwägung selber. Rollt energisch vor die Kameras und informiert über Putzwoche und Waschdienst der schwarzen WG am Tiergarten. Diese Familie schwankt zwischen Entrüsten und Enterben; als hätte Opa ’ne Neue, die es nur auf sein Erbe abgesehen hat. Der unwürdige Alte. Die Neue des Alten ist die alte; Kohl treibt’s vor laufender Kamera mit der CDU.

Dagegen ist schlecht ansenden. Beim Rheumadeckentag der Bremer CDU stöhnt es „Helmut, halt durch!“ aus dem Parkett, das hat sich so ergeben, man hat sich so ergeben. Menschen, die anderntags ihre Kinder wieder vor kriminellen Sektenführern warnen würden. Der Altkanzler läuft Amok als rhetorische Neutronenwaffe: Wo er hinquatscht, wächst kein Widerspruch mehr, er trägt eine persönliche Bannmeile wie eine Last um sich rum spazieren. Heisenbergsches Unschärfegesetz: Du willst eine Situation messen, aber dein Einwirken auf diese Situation verzerrt mehr, als du messen kannst. Du bist Kohl und hörst keinen ernsthaften Widerspruch, weil andere beim Eintritt in deine Umlaufbahn Jubelsucht befällt. Dämonische Gerechtigkeit für einen Mann, der für den nämlichen Starrsinn ins Geschichtsbuch kam: CDU-Chef trotz Provinzmief, Kanzler trotz Strauß, Staatsdarsteller trotz Blackout und eine Wiedervereinigung, an die – zumindest einige historische Sekunden – auch nur er allein geglaubt haben dürfte. Er hat sich noch jede Realität passend gesessen. Ein imponierend tragischer Endkampf Arsch gegen Vernunft.

Früh sprach der Niedersachse Christian Wulff von einem Machtkampf, der nun zu beenden sei. So viel Aufklärung nur, wie nötig ist, den besserwisserischen Altbauern endlich nachhaltig ins Austragstüberl zu vergraulen? Die Kohl-Erben als Zauderlinge: „Herr, die Not ist groß; die Geißler, die ich rief, die werd’ ich nun nicht los.“ In dieser Woche wird Ruhe einkehren an der Spendenfront; nicht Rühe; wird die Interview- und Statement-Bereitschaft ruckartig nachlassen.

Schon mault das Publikum: Keine neue Katastrophe? Unter „Selbstmord eines CDU-Politikers“ räumt Bild den Titel nicht mehr frei, und da noch täglich nachlegen zu wollen wäre in jeder Hinsicht zu viel verlangt. Das Ritual der frisch verschobenen Pressekonferenz, die notorische Antwort des abgesetzten Gegenpapstes aus einem enthusiasmierten Festzelt an der Nordseeküste – zweimal dabei gewesen, bitte nicht wiederwählen. Eine kluge Medienpolitik hieße: ab sofort Schnauze halten; zur Zeit lebt der Konflikt wesentlich von den Wortbeiträgen derer, die ihn am liebsten los wären. Und klug – wird die Union jedesmal dann, wenn’s ernsthaft und langfristig in Richtung Machtverlust geht. Angela Merkel wankt – übermüdet, aber ohne Vorstrafen – aus der Geisterbahn, ist aber Frau, Osten, jung – nicht kandidabel. Schäuble hinterdrein: beschädigt, der Hiob, dem man auch unverschuldete Botschaften ankreiden wird. Rüttgers vergeigt die NRW-Wahl, Rühe muss zittern, Wulff hat noch Zeit, Koch zu viel Geld. Mehr als ein glattes Unentschieden war nicht drin, Fortsetzung folgt.

Dem aufklärerischen Bemühen vieler Christdemokraten entspricht das grundgute Wesen des Aufklärungsmediums: Das Fernsehen möchte, dass es knallt. „Hallo, ich heiße Roland, und mein Alter hat linke Geschäfte gemacht!“ – „Supi, Roland, setz dich zu uns und haste nicht gesehen, hier ist dein Überraschungsgast: Der Manni!“ Davon hat die Union nun wirklich reichlich geboten. RTL hat in dem Quotenknüller gleich gelenkig die schamhafte Absetzung seiner Kanzler-Comedy versteckt: „Wie war ich, Doris?“ – „Überflüssig.“ Denn auf allen Kanälen lief „Der Schattenmann – unplugged.“

Hallo, ich heißeRoland, und meinAlter hat linkeGeschäfte gemacht!

Kosovo, die Nachfolge-Single Kohl – normal hält so was vierzehn Tage. Gesetzt, die Union hat intern klargezogen, dass jetzt entweder nichts mehr kommt oder nichts mehr durchkommt, war es das aber auch. Die Sehnsucht nach dem Knaller lässt noch ein wenig über „Spaltung“ schwadronieren, wo längst „Lähmung“ eingekehrt ist; die Union wird alles tun, wobei das Fernsehen nicht gern zuguckt: Jede Form von Nichts. Das Leitmotiv mag Machtkampf heißen, die Basslinie aber: Adenauer, lange Pause, Kohl, lange Pause. In die lange Pause tiriliert die Triangel die manchen schmerzlich hohen Tönen von der Programmpartei. Der Letzte, der dies tat, war Kohl, am Anfang. Das Ende: siehe oben. Auch der nächste Übervater der Union wird auf sich aufmerksam machen, in dem er zum Kampf gegen das Übevatertum aufruft. Die sensationelle Ein-Ton-Melodie.

Der bizarre Vorzug der konkreten Situation aber ist, dass politisches Personal und anderntags geölte O-Ton-Automaten aus Partei und Fraktion selbst beeindruckt sind. Zu erzählen haben, noch einsortieren müssen, windumtost Richtung Meinung rudern. Der Journalismus ist zurückgeworfen auf das schlichte Beschreiben dessen, was passiert – einerseits. Und auf haltloses, munteres, promigestütztes Rumspekulieren andererseits. Das hat Spaß gemacht. Wie köstlich, wenn man „dem politischen Gegner“ resp. dem „journalistischen Gegenüber“ mal unvermutet seine abseitigsten Neigungen entgegenbringen darf, weil’s eh grad nix anderes gibt: Neugier. Schon munkelt’s, im Adenauerhaus würde nach Verlöschen der Scheinwerfer rund um die Uhr inniglich gebetet, Kohl möge bloß nicht sagen, was zu verschweigen man ihm den ganzen Tag über leidvoll vorwirft. Noch aber darf man ein wenig schaudernd lustvoll nachdieseln und durchrieseln lassen, wie sich das anfühlte, als einen Moment lang alle, beide, Frager und Befragte, jedenfalls in erlesenen Augenblicken, gemeinsam nach etwas Wahrheit suchten.