Erinnern, um eigene Schuld zu überdecken?

Schwedens Regierung lädt die politische Prominenz der westlichen Welt zu einer Holocaust-Konferenz ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Was kann die Konferenzbringen? „Das wissen wirauch nicht“, gibt die Verantwortliche unumwunden zu

„Nie wieder!“ heißt die Veranstaltung, und noch nie war Schweden Gastgeber eines so viel beachteten Treffens. An 45 Länder sind Einladungen ergangen, und nicht weniger als 20 haben sofort das Erscheinen ihrer Staats- oder Regierungschefs zugesagt. Frankreichs Ministerpräsident Lionel Jospin, Deutschlands Gerhard Schröder, Israels Ehud Barak, der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski und sein tschechischer Kollege Václav Havel.

Was 600 geladene Gäste und vermutlich die doppelte Anzahl von JournalistInnen von heute bis Freitag in die schwedische Hauptstadt eilen lässt, ist das Thema des Massenmords des Hitlerregimes an Juden, Homosexuellen und anderen Minderheiten. Die x-te Konferenz zum Thema Holocaust – doch ein vermutlich bislang beispielloses Echo.

Begonnen hatte alles mit einem Missverständnis. Im Sommer 1997 schockierte eine Umfrage die schwedische Öffentlichkeit: Jedes dritte Schulkind glaubte danach nicht daran, dass der Holocaust tatsächlich stattgefunden hatte. Nach einigen Wochen stellte sich heraus, dass bei Fragen, Antworten und deren Interpretation etwas schief gegangen war, der tatsächliche Anteil der „ZweiflerInnen“ deutlich niedriger lag, doch da hatten sich die PolitikerInnen des Themas bereits angenommen: Göran Persson, sozialdemokratischer Regierungschef, erklärte das Problem zur Chefsache. Die Aufklärungskampagne „Lebende Geschichte“ wurde initiiert.

Als Ministerpräsident Persson bei einem USA-Besuch von Präsident Clinton für die Initiative gelobt wurde, wurde die Idee einer großen internationalen Konferenz und einer Organisation zum Thema geboren. Im Mai 1998 bildeteSchweden zusammen mit den USA und Großbritannien die „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research“, der sich mittlerweile weitere Länder, wie Deutschland, Israel und Polen angeschlossen haben. Eine erste Konferenz 1998 in Stockholm erregte kein allzu großes Echo – damals hatten sich „nur“ ForscherInnen getroffen. Diesmal sollen es PolitikerInnen und Fachleute zusammen sein.

Schwedens Bemühen mit dem Projekt „Lebende Geschichte“ kommt zu einer Zeit, in der das Land von bislang beispiellosen Terrortaten von Neonazis geprägt ist. Reagiert hat man hierauf in Stockholm aber erst, seit neben AusländerInnen und Homosexuellen auch Gewerkschaftler und Polizisten ermordet wurden.

Und immer mehr nähert sich die Frage nach der ökonomischen, militärischen und ideologischen Unterstützung Nazideutschlands auch den schwedischen Grenzen. Schwedens Geldwäsche für und Goldgeschäfte mit Nazideutschland wurden erst im Zusammenhang mit den Nachforschungen bei Schweizer Banken zugestanden. Für Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeiter glauben die Muttergesellschaften damaliger deutscher Firmen immer noch nicht zuständig zu sein.

Ohne Schwedens Eisenerz wäre Hitlers Kriegsmaschinerie viel schneller zusammengebrochen, und ohne die Transporterlaubnis für Millionen deutscher Soldaten hätte es keinen Kriegsschauplatz im hohen Norden gegeben. Für all das ist die „Lebende Geschichte“ auffallend blind. Hofft Schweden also, durch moralische Offensive Schuld überdecken zu können?

Tatsächlich ist die Frage was eine „Holocaust-Konferenz“ eigentlich bringen kann. „Das wissen wir auch nicht“, gibt die Projektverantwortliche Anna-Karin Johansson unumwunden zu. Positive Beispiele für derart Aufklärungskampagnen seien in der Vergangenheit nur schwer zu finden.

Die Historikerin Ingrid Lomfors sieht die „Holocaust-Welle“ gar ausgesprochen skeptisch: Die jetzige Konjunktur habe ihren Grund offenbar darin, dass es eine Leerstelle, einen Initiativbedarf in der westlichen Welt zu füllen gelte. Und es bestehe die Gefahr einer „Standardisierung“, eine Art McHolocaust, der eher abzustumpfen drohe. Etwa wenn das Thema gleich in mehreren US-Seifenopern verarbeitet wird, alle Ausstellungen mehr oder weniger gleich aussehen, mit denselben Bildern und Ausstellungsgegenständen oder wenn man in Warschauer Hotelzimmern Touristenbroschüren findet mit der Aufforderung „Do the Holocaust-Experience“.

Christer Madson, verantwortlicher Pädagoge hinter „Lebende Geschichte“ glaubt zumindest an eine Art impfende Wirkung der Aufklärungsarbeit: „Der Judenmord versieht die Schüler mit einem historischen Ausgangspunkt. Von dort kann man sie weiterlotsen zum Bewusstsein der Wichtigkeit von selbständigem Denken und Demokratie.“

Da könne man eigentlich einen näher liegenden Ausgangspunkt finden, meint Kurdo Baksi, Chefredakteur der antirassistischen Zeitschrift Svartvitt: „Da kann man doch gleich direkt die Ausländerfeindlichkeit zum Zentralthema machen, das Verhältnis zwischen Einheimischen und Fremden. Hier liegt das große Zukunftsproblem.“