„Um die Mehrheit kämpfen“

Die CDU kann es sich nicht leisten, auf die Spendernamen zu verzichten, meint Karin Grasshof, ehemalige Verfassungsrichterin

taz: Frau Grasshof, kann die CDU so einfach darauf verzichten, gegen ihren Ex-Vorsitzenden Kohl gerichtlich vorzugehen?

Karin Grasshof: Ich glaube nicht. Die Partei hat eine Rechenschaftspflicht, die sich sowohl aus dem Grundgesetz als auch aus dem Parteiengesetz ergibt. Offensichtlich kann sie diese Rechenschaftspflicht aber nicht erfüllen, solange Helmut Kohl über die Herkunft der Gelder auf seine separaten Konten schweigt. Damit darf sich eine Partei aber nicht zufrieden geben. Vielmehr muss sie die zur Verfügung stehenden Mittel nutzen.

Und wenn sie dies nicht tut? Was passiert dann?

Der Staat kann die CDU hierzu nicht zwingen. Aber wenn die Partei schuldhaft keine ordnungsgemäßen Rechenschaftsberichte einreicht, dann erhält sie auch keine staatlichen Mittel mehr. Da scheint mir das Parteiengesetz recht eindeutig zu sein.

Wenn der Staat die CDU nicht zwingen kann, Kohl zu verklagen, könnte dies doch der Parteitag tun?

Es ist denkbar, dass der Parteitag im April den CDU-Vorstand auffordert, eine solche Klage einzuleiten. Ob es aber einen solchen Parteitagsbeschluss gibt, das ist dann keine rechtliche, sondern eine politische Frage.

Wenn die Partei in ihrer Mehrheit eine solche Klage ablehnt, könnte vielleicht ein einzelnes Mitglied im Namen der CDU die Klage einreichen? Im Bereich wirtschaftlicher Gesellschaften ist eine solche „Gesellschafterklage“ im Namen der Gesellschaft ja durchaus möglich ...

Ja, das ist die Rechtsfigur „actio pro socio“. Die Einzelheiten sind aber schon im Gesellschaftsrecht umstritten. Und ob sich diese Rechtsfigur auf das Parteienrecht übertragen lässt, bezweifele ich doch sehr.

Warum? Auch hier geht es letztlich um wirtschaftliche Fragen. Wenn der Vorstand auf eine Klage gegen Kohl verzichtet, könnte das nach ihrer Ansicht ja dazu führen, dass die CDU keine weiteren Staatszuschüsse mehr bekommt. Da geht es doch um die ökonomische Existenz der CDU.

Das ist zwar richtig, aber dennoch handelt es sich gerade auch hier um sehr politische Fragen, wenn die CDU aus Rücksicht auf die historischen Leistungen des Alt-Kanzlers oder auch um ein Zerbrechen der Partei zu verhindern auf eine Klage verzichtet. Wer in der CDU eine Klage durchsetzen will, muss um die Mehrheit kämpfen.

Hätte eine Klage Aussicht auf Erfolg? Kohl könnte sich ja auch im zivilrechtlichen Streit auf sein Aussageverweigerungsrecht wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens berufen.

Der Bundesgerichtshof hat vor Jahrzehnten einmal entschieden, dass sich ein solches Aussageverweigerungsrecht aus dem Strafrecht nicht auf zivilrechtliche Verfahren erstreckt. Ob das heute noch so gesehen wird, weiß ich nicht.

Das ist ja auch eine verfassungsrechtliche Frage. Es darf schließlich niemand gezwungen werden, sich selbst zu belasten.

Genau. Aber soweit ich sehe, hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der konkreten Frage noch nicht befasst. Es gibt allerdings einen ähnlichen Beschluss aus dem Jahr 1981, wonach Aussagen des „Gemeinschuldners“ aus dem Konkursverfahren nicht gegen seinen Willen in einem Strafverfahren gegen ihn verwertet werden dürfen.

Legt man diese Wertung zu Grunde, hätte Kohl also kein Aussageverweigerungsrecht bei einer CDU-Klage auf Rechenschaft über die Spender. Die Informationen dürften nur nicht in dem Strafverfahren wegen Untreue verwendet werden.

Diese Sichtweise liegt nahe.

Interview: Christian Rath