„Angst vor Haider ist künstlich“

Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse sieht keinen Grund zur Panik: Es sei ja nur ein undemokratisches System zusammengebrochen

taz: Sind Sie erleichtert über das Ende der großen Koalition in Österreich?

Robert Menasse: Das bin ich. Mit dieser Konkordanzdemokratie der beiden großen Parteien, die sich jahrzehntelang alles aufgeteilt haben, ist in Österreich ein zutiefst undemokratisches System entstanden. Wer Stabilität als demokratisch bezeichnet, weiß nicht, was Demokratie ist. Wer wachsenden Wohlstand als Produkt demokratischer Verhältnisse bezeichnet, weiß nicht, was Demokratie ist. Wer eine Sängerknabenbeliebtheit draußen in der Welt als hinausstrahlendes demokratisches Phänomen betrachtet, weiß nicht, was Demokratie ist. Aber so war es immer. In Wirklichkeit lebten wir in Österreich seit Jahrzehnten in vordemokratischen Verhältnissen. Wir hatten zwar ein Parlament, aber keine freien Parlamentarier. Wir hatten eine Regierung. Aber diese Regierung konnte nie gewählt oder abgewählt werden, weil es eigentlich nur zwei Parteien gab, aber keine Opposition. Mit jeder Wahl konnte man nur die Regierung bestätigen, oder zu kleinen Verschiebungen der Einflusssphären dieser Parteien beitragen.

Haben Sie keine Sorgen wegen einer möglichen Regierungsbeteiligung der FPÖ?

Diese Sorge ist eine rein künstliche. Jörg Haider ist ja nicht die Antithese zu den politischen Verhältnissen in Österreich, sondern er ist deren Übertreibung. Der Unterschied zwischen Jörg Haider und dem bürgerlichen Lager ist in der Radikalität derselbe wie der zwischen CSU und CDU. Das Eigentümliche am Erfolg von Jörg Haider ist, dass er Dinge, die von allen gesagt werden, auch sagt, nur deutlicher. Statt „die Transzendenz, die Irrelevanz“ zu sagen, sagt er: „Des is’ ois a Blödsinn.“ Mehr Unterschied ist da nicht. Die Österreicher haben diesen schwammigen Polit-Speech der großen Parteien nicht mehr ertragen. Er ist Opposition, er redet klar: das ist hier völlig neu.

Wie beurteilen Sie die Drohung der Israelis, ihren Botschafter abzuziehen, falls Haider in die Regierung kommt?

Ich denke, diese Reaktion ist vollkommener Unsinn. Man kann nicht sagen, man sei mit den Verhältnissen nicht einverstanden, wenn ein Symptom dieser Verhältnisse weithin sichtbar wird. Aber wenn die Symptome nicht so krass sichtbar sind, ist man diplomatisch weiter einverstanden. Das halte ich für infantil und wenig hilfreich.

Wäre eine von der SPÖ geführte Minderheitsregierung eine gute Lösung?

Ich fände das gut. Das würde der SPÖ die Chance geben, wieder eine sozialdemokratische Partei zu werden und Profil zu zeigen – was ihr ja in dieser erstickten großen Koalition nicht möglich war.

Droht Österreich Gefahr?

Es gibt keinen Grund zur Panik. Es ist nur ein undemokratisches System zusammengebrochen. Aber genausowenig wie Krenz die Lösung für die DDR war, ist eine der aktuellen politischen Figuren eine Lösung für Österreich. Und ein neuer Politiker fehlt in Österreich. Trotzdem ist die Implosion des Systems eine große Chance: Es besteht jetzt die Möglichkeit, eine demokratische Kultur in Österreich aufzubauen und vergleichbar zu werden mit anderen westlichen zivilisierten Staaten.

Interview: Stefan Kuzmany